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Oase des Zuhörens

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24.11.2016
Die Zwitscherbar beim Lukaszentrum in Luzern bietet seit vier Jahren Raum für Gespräche und Begegnungen. Eine Herausforderung für den neuen Leiter Bruno Fluder.

Ein warmer Tag im Oktober, buntes Laub hat sich auf den Rasen des Gärtchens vor der Zwitscherbar gelegt, drinnen gibts Kuchen, Schwarzwälder, Nusstorte, zur Feier des Tages. Die Zwitscherbar, ökumenisches Angebot der Kirchen der Stadt Luzern, feiert ihr vierjähriges Bestehen. Seit vier Jahren können Menschen hier jeden Tag einkehren, können Kaffee trinken, ihr selbst mitgebrachtes Sandwich essen, über Probleme sprechen, lachen oder einfach sein, je nachdem, was das Leben gerade abverlangt.

Ein Ort für alle
Bruno Fluder, der neue Leiter der Zwitscherbar, sitzt am Nebentisch vor einem Stammgast und schaut ihm zu, wie er ein Sudoku löst. Beiläufig sprechen sie plötzlich über ihre verstorbenen Väter, über die CVP und das Leben als Bauer auf dem Land, Erinnerungen an die Kindheit. Fluder spricht von sich, als wäre das ein Gespräch unter Freunden und keines zwischen einem Gast und einem Seelsorger. So hörbar, als wäre es ein Gespräch über das Wetter. Ein Moment, der zeigt: Die Zwitscherbar ist gleichzeitig ein ganz normales Café und irgendwie auch nicht. Sie ist ein Mischort, einer für alle. Ein Ort, an dem man seine Hausaufgaben machen kann, seine Meetings abhalten. Aber auch einer, der einen empfängt, wenn man Kummer hat, sich alleine fühlt. Wenn man nicht weiter weiss, im Leben. Aber der Gang zum Psychologen zu beschwerlich wäre oder schlicht falsch. Weil man vielleicht gar keine psychischen Probleme hat, aber trotzdem einsam ist.

Über dem Sudoku lösenden Besucher schweben kleine Papiervögel von der Decke, vor ihnen rote und gelbe Rosen auf dem Tisch, die Dame hinter der Bar lächelt und bringt etwas zu Trinken, auf ihrem Namensschild steht der Vorname, darunter «Gastgeberin». An der Tafel hinter der Bar steht geschrieben, die Preise hier seien Richtpreise, wer nicht zahlen kann, der muss auch nicht. Man versuche, ein einladender Ort zu sein, sagt Fluder, die Konfession zähle nicht, das Einkommen zähle nicht, «das ist ein Ort für alle», auch wenn er hauptsächlich von den reformierten und katholischen Kirchgemeinden der Stadt Luzern finanziert sei, mit 160 000 Franken pro Jahr.

Raum für Seelsorge
Er selbst ist homosexuell und katholischer Theologe, er ist sensibilisiert auf aus Sicht der Kirche unkonventionelle Kombinationen, die in der säkularen Welt für viele kein Thema mehr sind. Der 47-jährige Theologe und Non-Profit-Manager hat sich in seiner neuen Leiter-Funktion einen Traum realisiert, zumindest teilweise. «Hier kann ich nun endlich Seelsorge machen, wie ich sie verstehe: Ich habe Zeit und Raum für die Leute, kann uneingeschränkt zuhören.» Aber natürlich bleiben administrative Tätigkeiten, das Führen des Teams. «Aber wenn ich meine Einteilung als Seelsorger habe, dann bin ich ganz da.» Das, sagt Fluder, sei in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr. Zu viele Pfarrpersonen und Seelsorger würden heute von administrativen Tätigkeiten erdrückt.

Soziales Netz fehlt heute oft
Das Schöne an der Zwitscherbar sei, dass die Hemmschwelle so niedrig ist, sagt Fluder. «Man kann einfach vorbeikommen, ohne Termin, ohne Hürden.» Er kennt sich aus, im Metier. Er arbeitet seit 1994 in der Seelsorge, davon zehn Jahre als ehrenamtlicher Internet-Seelsorger. Man bewirte ungefähr 30 bis 60 Gäste pro Nachmittag. Von all diesen Leuten würden im Durchschnitt fünf ein Gespräch mit einem Seelsorger suchen. «Dieser Ort ist für viele Leute auch eine Art Quartier-Treff, sie sehen hier ihre Kollegen oder lesen ein Buch», sagt Fluder. Die Gesellschaft sei anonymer geworden. «Die Leute sind weniger stark in soziale Netze eingebunden. Bist du alt, krank, arbeitslos, bist du bald einmal isoliert.» Die Menschen bräuchten manchmal nur ein Gegenüber, das zuhört und sie ernst nimmt. 29 Personen sind derzeit als Freiwillige in der Zwitscherbar tätig. Von den fünf Seelsorge-Gesprächen pro Tag sei nur eines jeweils ein neues, mit jemandem, der davor noch nie zum Gespräch kam. «Manche Gäste kommen täglich zum Gespräch», sagt Fluder. Auch deshalb arbeite hier kein Freiwilliger aus dem fünfköpfigen Seelsorge-Team zwei Tage nacheinander. Denn für Fluder ist klar: «Es wird nicht einfach sein, diese Wiederholungen auszuhalten.» Denn Seelsorge kann auch belastend sein. «Wir achten aber aktiv auf diese Themen», sagt Fluder. Mit Intervision, mit Gesprächen im Team. Fluder gibt zu, dass diese neue Aufgabe, die er im Oktober angetreten hat, sicher auch herausfordernd werden kann. Aber bisher ist er ziemlich begeistert.

«Unter Leuten gehts besser»
Der Besucher hat das Sudoku gelöst, «super, bravo», ruft Bruno Fluder. Ein paar Minuten später hat sich eine Dame zum Stammgast gesetzt. Sie kommt hierher, weil sie den Garten so mag. Selbst hat sie keinen. Er kommt hierher, weil er auf seinem Bauernhof oft alleine ist, mit seinen Tieren. Er war heute beim Psychiater, dann kam er hierher, «es geht mir besser, wenn ich unter die Leute komme». Zwei bis dreimal die Woche komme er, öfter als auch schon. «Ja, stimmt, eine Zeit lang sah man dich wenig», sagt sein Gegenüber sofort, hier schaut man eben zueinander.

14.11.16 / Anna Miller

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