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Warum die Innerschweiz katholisch blieb

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22.02.2017
Die Innerschweiz verhält sich zur Reformation wie ein Veganer zu einer Berner Platte. Falsch! Der neue Glaube elektrisierte auch die Bildungselite in Klöstern und Stiftsschulen. Die Bauern und die vom Soldwesen profitierenden Eliten hingegen standen der Reformation ablehnend gegenüber.

Blutrünstig schmückte der Innerschweizer Chronist Hans Salat die Schlacht von Kappel anno 1531 aus. Im Mittelpunkt steht bei ihm der Ketzer Zwingli. Den Kopf hätten sie ihm gespalten, gevierteilt seinen Körper und danach zusammen mit einigen Stücken von soeben geschlachteten Schweinen verbrannt. Den gespaltenen Helm und sein Schwert trug die siegreiche Soldateska als Trophäe nach Luzern.

In diesem brutalen Bild steckte über Jahrhunderte die Antwort auf die immer wieder gestellte Frage: Warum blieb die Innerschweiz katholisch? Lange waren die Meinungen dazu gemacht: Da war die anarchisch entfesselte Kampfeslust der Innerschweizer und vor allem die Abhängigkeit ihres Staatshaushaltes vom Pensionswesen. Die Elite, die die Söldnerführer stellte, fühlte sich durch die Kritik der Reformatoren um ihre profitable Existenz gebracht .

Humanistische Literatur verboten

Heute, 500 Jahre nach der Reformation, wird das Bild differenzierter. Keineswegs haben die Bücher und Flugschriften, die in den Offizinen von Basel und Zürich in grosser Zahl gedruckt wurden, vor der Innerschweiz haltgemacht. Staatlich angeordnete Visitationen zeigen: Das reformatorische Schrifttum fand in Klöstern, Pfarrhaushalten und auch bei einer akademisch geschulten Leserschaft Aufnahme. Aufgrund einer Denunziation wurde beispielsweise das Kloster Sankt Urban 1524 nach «lutherischen» Schriften untersucht. Die Zensoren wurden fündig. In ihrem Eifer konfiszierten sie auch alle griechische Literatur, die unter dem Generalverdacht stand, reformatorisch zu sein. Was auch zeigt: Der humanistische Geist, der zurück zu den Quellen drängte, war den altgläubigen Kirchenoberen genauso suspekt.

Und humanistisch inspirierte Gelehrte gab es viele. Bei der Tagung des historischen Vereins der Zentralschweiz zum Thema formulierte es der Historiker und Schriftsteller Pirmin Meier so: «In der Bildungsgeschichte der Zentralschweiz spiegelt sich die Nähe zur Reformation. Wenn die ökonomischen Interessen nicht anders gelagert gewesen wären, hätte es anders herauskommen können.»

Erste evangelische Predigt in Luzern

1522 war für die Luzerner reformationsgeschichtlich ein bedeutsames Datum.  Am Vortag vor Mariä Verkündigung plädierte Konrad Schmid aus Küsnacht bei dem jährlich stattfindenden Museggumgangs in seiner Predigt für das evangelische Schriftprinzip und bestritt auch den Herrschaftsanspruch des Papstes. Schmids provokante Predigt rief den Zorn zweier Priester hervor und dies veranlasste wiederum den reformiert gesinnten Theologen, seine Predigt als Flugschrift drucken zu lassen. Mit grosser Hingabe hatte auch Oswald Myconius, die zentrale Figur der Innerschweizer Reformationsfreunde, der Schmidschen Predigt 1522 gelauscht. Aber nach dem Eklat und Flugschriftendisput stellte die städtische und kirchliche Obrigkeit den 1519 als Lehrer der Stiftsschule in Luzern angestellten Myconius kalt, der später noch als Antistes von Basel eine reformierte Bilderbuchkarriere machen sollte.

1522 sammelten sich auch in Einsiedeln reformiert gesinnte Priester und schrieben eine Petition an den Bischof von Konstanz, um für Weltpriester das Zölibat aufzuheben und die reformierte Predigt zu gestatten. Da war der ehemalige Einsiedler Huldrych Zwingli genauso anwesend wie der Zuger Werner Steiner oder Leo Jud. Alle drei waren als Leutpriester im Klosterdorf tätig, sozusagen ein klandestines Zentrum der Reformation, dessen katholisches Barockkloster bis heute seine Wirkungsgeschichte als reformierten Erinnerungsort überstrahlt. 1522 war denn auch der Wendepunkt. Die Repressionen wurde stärker und zu guter Letzt finden sich all die Innerschweizer Reformiertgesinnten in den Annalen der Reformationsgeschichte von Basel, Bern oder Zürich. Berufsverbote haben sie gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

Umgekehrt fanden auch katholische Emigranten wie der Künstler Martin Moser Exil in Luzern. Nach dem kultischen Bilderverbot entfiel die Kirche als Hauptauftraggeber. Dagegen verzeichnete die Konjunktur für Künstler in der Innerschweiz im Zeichen der Gegenreformation einen ungeheuren Aufschwung. Moser war so auch an der Ausschmückung der Brücke zur Hofkirche beteiligt.

Pfarrer als Gemeinde-Angestellte

Eines aber fällt auf: Im Gegensatz zu Zürich, Schaffhausen oder der Ostschweiz sprang der reformierte Funke bei den Bauern nicht über. Schon in den 1990er-Jahren hat hierzu der Berner Historiker Peter Blickle ein zentrales Motiv herausgearbeitet. Vieles, so die These Blickles, was sich die Bauern im Mittelland wünschten, war in der Innerschweiz schon längst Wirklichkeit. Mit einer Landkarte rund um den Vierwaldstättersee dokumentierte der Historiker bei der Tagung, Beat Kümin, Blickles These eindrucksvoll. Rund um den See häuften sich mehr als 30 Punkte von Kirchgemeinden, die sich schon längst aus der Obhut von Konstanz gelöst hatten.

Kümin nannte als Beispiel Gersau, das sich nicht nur als Reichsdorf bis 1798 als freie Republik gehalten hatte, sondern auch längst den Pfarrer als einen Staatsangestellten behandelte, der seine Dienste nach einem vom Rat erstellten Pflichtenheft zu erledigen hatte. Während gerne katholisch Erzkonservative rund um den Bischof Vitus Huonder das «Staatskirchentum» als eine rein reformiert-freisinnige Erfindung denunzieren, hatte sich dieser Typus längst vor der Reformation in der Zentralschweiz etabliert. Damit war auch klar: Für die humanistischen Gebildeten wie Myconius ging von den Ideen der Reformation eine magnetische Anziehungskraft aus, die Bauern und Handwerker dagegen blieben immun.

Delf Bucher, Kirchenbote, 22.2.2017

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