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Verehrung ohne Anbetung

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01.11.2017
Allerheiligen und Allerseelen – hier treten die Glaubensunterschiede zwischen reformiert und katholisch besonders deutlich hervor – für Reformationsbotschafter Christoph Sigrist eine symbolträchtige Vorlage um über Ökumene und die Heiligen nachzudenken.

Erster und zweiter November vor der Reformation im Zürcher Grossmünster: Weihrauchduft wabert durchs Kirchenschiff, vor den siebzehn Altären flackern die Kerzen, das Gemurmel von Totengebeten und Totenmessen der Priester erfüllt den Raum. Der Doppelfeiertag Allerseelen und Allerheiligen – das sind in katholischen Regionen bis heute die Festtage des Totengedenkens.

Keine Vorhölle für die Toten
Mit Zwingli war im reformierten Zürich Schluss damit: In den 1520er-Jahren wurde der Kirchenraum geleert, die Heiligen vom Sockel geholt und die Grabsteine auf dem Friedhof rund ums Grossmünster entfernt. Aber es ging nicht alles nach dem Taktstock der reformatorischen Theologen, die auch im Tod nur die Unmittelbarkeit des Einzelnen zu Gott akzeptierten: Weder die fürbittenden Gebete der Trauernden noch die Fürsprache der Heiligen für die unerlösten Seelen in der Vorhölle sollten weiterhin zelebriert werden.

Das Beinhaus vor dem Grossmünster, Anziehungspunkt des altgläubigen Totenkults, wurde abgerissen und 20‘000 Schädel an einem anderen Ort vergraben. In Affoltern ging der Abriss des Beinhauses indes nicht reibungslos vonstatten. Es gab einen Tumult und der Stadtrat musste schlichten. Heinrich Bullinger, Zwinglis Nachfolger, setzte hernach ein Gutachten für den Rat der Stadt auf und dekretierte: «Gottes Erste und älteste Ordnung ist die, die er grad im paradies gemacht: us der erden bist gekommen und in erden must wiederkeeren oder zur erde werden.» Sprich: Knochen und Schädel bleiben in der Erde und werden nach Aufhebung der Gräber nicht in Beinhäusern weiter aufbewahrt.

Schon Zwingli hatte das prinzipielle Diktum ausgesprochen: Nach dem Tod war es entschieden, ob der Gläubige Aufnahme im Himmel erhielt oder den Abstieg in die Hölle zu gehen hatte. Das Zwischenreich der Vorhölle, in dem die unerlösten Seelen schmorten, hatte und hat keinen Platz in der reformierten Theologie, da davon nichts in der Bibel überliefert ist.

Geld für Arme statt für Kerzen
Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist sieht neben den theologischen Einwänden auch das sozialpolitische Motiv der Reformatoren, den Totenkult aus Zürich zu bannen: «Die Unsummen, die für Kerzen, Weihrauch und Totenmessen ausgegeben wurden, waren für Zwingli verschwendetes Geld. Dieses soziale Kapital sollte besser den Armen zukommen.»

Indes war es nicht so einfach für die Reformatoren, ihre Vorstellung durchzusetzen. Das zeigt der bereits erwähnte Widerstand in Affoltern. Noch lange sollten auch die Notabeln der Stadt in der Kirche bestattet werden. Erst im 18. Jahrhundert geschah dann die konsequente Auslagerung des Friedhofs aus der Stadt.

Verehren ohne anzubeten
Hier zeigt sich: Die Reformation konnte althergebrachte Rituale nicht über Nacht verändern. Das belegt auch die Popularität der Märtyrer Felix und Regula. Sie wurden noch lange als Zürcher Stadtheilige gefeiert, bis der Feiertag nur noch mit dem Knabenschiessen in Verbindung gebracht wurde. Zwingli selbst wollte die Verbindung zu den Stadtheiligen nicht ganz kappen. Er wehrte sich gegen die Anbetung, aber nicht gegen die Verehrung. «Zwingli war sich bewusst, dass die beiden Stadtheiligen ein Stück der Zürcher Identität ausmachten. Deshalb legte er auch die Termine für die vier Abendmahlsfeiern im neu gegliederten Kirchenjahr auf Weihnachten, Ostern, Pfingsten und eben den Felix- und Regulatag», erklärt der Grossmünsterpfarrer.

Verehrung der Heiligen ohne Anbetung diesem Thema will Christoph Sigrist in drei ökumenischen Veranstaltungen nachgehen.

Delf Bucher, reformiert.info, 1. November 2017

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