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Berner Kirchen warnen vor sozialem «Eigentor»

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07.12.2017
Das Kantonsparlament hat von Regierungsrat Pierre Alain Schnegg forcierte weitgehende Sparmassnahmen in der Sozialhilfe beschlossen. Die Landeskirchen protestieren.

Stephan Schranz ist enttäuscht und besorgt. Er leitet den Bereich Sozial-Diakonie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso) und hat die Debatte des Kantonsparlaments über Sparpakete in der vergangenen Woche und über die Revision des Sozialhilfegesetzes diese Woche genau verfolgt. Das Resultat öffnet seiner Ansicht nach die Schere zwischen Arm und Reich weiter: «Wenn man Steuern senkt und gleichzeitig spart bei jenen, die bereits am wenigsten haben, hinterlässt das Spuren in der Gesellschaft. Und zwar keine guten.» Bei derart brisanten sozialpolitischen Themen müssten sich die Kirchen einsetzen, findet er.

Politik auf dem Rücken der Schwächsten
Das tun sie jetzt vereint. Mit «Politik auf dem Rücken der Schwächsten» und Sorge um den sozialen Zusammenhalt kommentieren die Kirchen im Kanton Bern offiziell den bernischen Sozialsparkurs. In ökumenischer Einigkeit reagierten sie sehr rasch auf die aktuellen Beschlüsse des Parlaments. Bereits am 5. Dezember liess sich die katholische Kirche Region Bern verlauten, am 6. folgte die Stellungnahme der Interkonfessionellen Konferenz (IKK) der reformierten, katholischen, christkatholischen Berner Landeskirchen und der Interessengemeinschaft der Jüdischen Gemeinden im Kanton.

Konkret geht es um teilweise schweizweit einzigartige Sparmassnahmen in der Sozialhilfe. Sie sind in einer Revision des Sozialhilfegesetzes enthalten, die Regierungsrat Pierre Alain Schnegg mit einer umstrittenen Strategie ohne die üblichen Vernehmlassungen ins Parlament brachte. In erster Lesung wurde die Revision jetzt gutgeheissen. Sie sieht Kürzungen im Grundbedarf für den Lebensunterhalt bis zu 8 Prozent vor. Einzelne Gruppen wie junge Erwachsene oder vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sollen gar bis 30 Prozent weniger Grundbedarf erhalten. Hingegen sollen Einkommensfreibeträge und Integrationszulagen erhöht werden. Damit will der Kanton jene Personen belohnen, die sich um Arbeit und Integration bemühen.

Kirchen erwarten langfristig höhere Ausgaben
Auf dem Papier mag das gut klingen. Die Interkonfessionelle Konferenz sieht aber Haken: «Ein verstärktes Anreizsystem reicht nicht aus, um mehr Sozialhilfebeziehende in den Arbeitsmarkt zu bringen», teilt sie mit. Dafür biete dieser schlicht zu wenig Stellen. Vielmehr sei zu befürchten, dass sich so die bereits angespannte Situation vieler Sozialhilfebeziehender weiter verschlechtere und die langfristige soziale und berufliche Integration erschwert werde. «Damit wird der kantonale Gesetzgeber ein Eigentor schiessen, das langfristig höhere Sozialausgaben nach sich ziehen wird», hält die IKK fest.

Gemäss Stephan Schranz ist der Druck bereits in den letzten Jahren gestiegen. Sozialdienste hätten sich vermehrt mit Bitte um Unterstützung an kirchliche Stellen gewendet. «Mit den neuen Beschlüssen erwarten wir klar eine weitere Verschärfung», sagt Schranz. Als Beispiel nennt er die Teilnahme an Lagern oder Freizeitaktivitäten wie Theaterbesuche – Anlässe, bei denen es um soziale Teilhabe und Integration gehe.

«Die Sozialdienste haben dafür kaum mehr Ressourcen. Denn das Gesetz wurde so umformuliert, dass sehr vage ist, was überhaupt noch angemessen ist», erläutert Stephan Schranz. Bisher hiess es dort, die wirtschaftliche Hilfe decke den Grundbedarf für den Lebensunterhalt und ermögliche die angemessene Teilnahme am sozialen Leben. Neu ist von «grundsätzlich angemessener Teilnahme» die Rede – eine Formulierung, die bei Ressourcenknappheit zum Streichen geradezu einlädt.

Der winzige Lichtblick
Froh ist Stephan Schranz hingegen darum, dass die Beiträge des Kantons an die von den Kirchen geführten Beratungsstellen Ehe-Partnerschaft-Familie nicht gestrichen wurden. Er sieht in der lokalen Verankerung und in der guten Arbeit der insgesamt neun Stellen Gründe für den Zuspruch.

Doch welche der vielen weiteren Sparmassnahmen vorab im sozialen Bereich sich wie genau auswirken werden auf die kirchlichen Angebote, das sei zurzeit noch nicht abschätzbar. Aber das Signal erachten sowohl Stephan Schranz als auch die Interkonfessionelle Konferenz als bedenklich. Sie sehe sich nämlich auf der Grundlage der Bibel dazu verpflichtet, für Familien, Fremde und Schwache einzustehen, teilt die IKK mit.

Marius Schären/reformiert.info

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