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Pioniere einer speziellen Religionsfreiheit

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09.03.2018
Mit dem Mitgliederschwund in den Kirchen dürfte ein Zusammenrücken der Konfessionen naheliegen, wie ein aktuelles Beispiel in Bern zeigt. Im Thurgau ist das quasi ein alter Hut: Gemeinsam genutzte Kirchen gibt es seit Jahrhunderten.

In Bern hat ein erratisch wirkendes Gebäude eine Wandlung vollzogen: Die katholische Kirche Heiligkreuz in der Tiefenau, ein eckiges Betongebilde, ist seit Ende Januar keine katholische Kirche mehr. Wegen Sparmassnahmen wurde sie an die rumänisch-orthodoxe Gemeinde verkauft.

Katholiken zĂĽgeln zu den Reformierten
Das hat Konsequenzen auch für eine reformierte Kirche: In Bern-Bethlehem erhält jetzt die Kroatische Mission ihren Platz. Die kroatischen Katholiken waren bisher während 32 Jahren in der Heiligkreuzkirche zu Gast. Rund 500 Menschen nehmen jeweils an ihren Gottesdiensten teil. Sie müssen sich nun mit der reformierten Nüchternheit abfinden – und die Reformierten in Bethlehem mit den neuen Gläubigen.

Dass eine Kirche permanent neben- oder miteinander von verschiedenen Konfessionen genutzt wird, kommt zwar vor – aber vor allem in speziellen kirchlichen Räumen wie in Spitälern, Bahnhöfen oder im Flughafen. Gemeindekirchen hingegen werden trotz der grossen Veränderungen gerade im Immobilienbereich noch nicht allzu häufig gemeinsam genutzt, wie Nachfragen bei den Deutschschweizer Landeskirchen gezeigt haben.

Seit ĂĽber 500 Jahren gemeinsame Kirchen
Doch eine auffällige Ausnahme gibt es: den Thurgau. Urs Brosi, Generalsekretär der katholischen Landeskirche Thurgau, sagt es so: «Der Kanton Thurgau hat eine schweizweit ziemlich einzigartige historische Besonderheit beizusteuern: Es gibt heute zehn Kirchengebäude, die beiden Konfessionen zugleich gehören und von beiden nebeneinander genutzt werden.» Es handelt sich um die Kirchen in Kirchen Basadingen, Ermatingen, Frauenfeld-Oberkirch, Güttingen, Leutmerken, Oberhofen, Pfyn, Romanshorn («Alte Kirche»), Sommeri und Uesslingen.

Historikerinnen und Historiker sprächen von Simultanverhältnissen, sagt Brosi – umgangssprachlich würden sie als paritätische Kirchen bezeichnet. Im Thurgau bestünden sie seit 1531. Bis 1900 habe es rund 30 davon gegeben. Die Ökumene geht dabei bis ins Buchhalterische: Im Grundbuch sind jeweils die evangelische und katholische Kirchgemeinde miteinander als Eigentümerinnen eingetragen. Gemäss Urs Brosi wird die gemeinsame Verwaltung historisch mit verschiedenen Regeln gesteuert und sei heute «fast völlig problemlos».

Eine Art frĂĽhe Religionsfreiheit
Ursprung der Besonderheit ist die politische Situation des Thurgaus zur Zeit der Reformation. 1460 wurde der Thurgau von den sieben alten Eidgenössischen Orten Zürich, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus erobert. Sie regierten den Ostschweizer Kanton fortan als «Gemeine Herrschaft», also als gemeinsam verwaltetes Untertanengebiet.

Doch die sieben bzw. ab 1712 mit dem Kanton Bern acht regierenden Orte der Alten Eidgenossenschaft gingen in der Reformation unterschiedliche Wege. Und für ihr Untertanengebiet konnten sie sich nicht auf einen Glauben einigen. So überliessen sie den Thurgauern die Freiheit, über ihren Glauben selbst zu entscheiden – «eine Art von Religionsfreiheit, bevor es diese wirklich gab», beschreibt es der katholische Generalsekretär Urs Brosi.

Ab drei Familienoberhäuptern gabs Nutzungsrechte
In der Folge war der Thurgau konfessionell heterogen – im Unterschied zu fast allen anderen Kantonen, die bis 1798 konfessionell homogen waren. Es galt die Regel: Wenn an einem Ort mindestens drei Familienoberhäupter der Minoritätsreligion angehörten, hatten diese das Recht, die Kirche für ihre Konfession zu nutzen. So entstand im Thurgau wie selbstverständlich die gleichzeitige Nutzung von Kirchen durch beide Konfessionen.

Aus diesen Voraussetzungen ergaben sich einige lokale Besonderheiten, wie Urs Brosi erzählt. So sei der Taufstein in Ermatingen zweigeteilt in eine katholische und eine protestantische Hälfte. In Romanshorn gehöre das Seitenschiff, in dem die Marienstatue stand, nur den Katholiken. An anderen Orten wiederum beanspruchten zwar beide Konfessionen die Kirche, aber die Sakristei sei den Katholiken vorbehalten.

Geruchliche Konsequenzen hatte auch, dass die Katholiken Frühaufsteher waren: Da sie am Sonntag meist als erste den Gottesdienst feiern wollten wegen des Nüchternheitsgebotes, mussten die Evangelischen anschliessend den «Weihrauchgestank» ertragen. Und als Spezialfall unter den Thurgauer Spezialfällen dürfte Münsterlingen wohl als eine der einzigen reformierten Gemeinden über eine katholisch finanzierte Kirche verfügen: Da die Äbtissin von Münsterlingen die Protestanten nicht in ihrer Kirche haben wollte, baute sie diesen auf Kosten des Klosters eine eigene Kirche.

Marius Schären, reformiert.info, 9. März 2018

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