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«Ich will als gleichberechtige Bürgerin wahrgenommen werden»

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08.08.2016
Die Berner Politologin Elham Manea zeigt in ihrem neuen Buch die Folgen für die Gesellschaft auf, wenn anstelle des Gesetzes Scharia-Gerichte über das Leben von Muslimen in England entscheiden. Ein Gespräch mit der Frauenrechtlerin über Generalisierungen, falsch verstandene Rücksicht und Reaktionen auf ihr Buch.

Es ist Ihnen wichtig, als Mensch und nicht als Muslimin wahrgenommen zu werden. Warum?
Elham Manea: Wenn wir Menschen auf ihre religiöse Identität reduzieren, blenden wir Diversität, Komplexität und die vielen Facetten einer Identität aus. Fragt man uns Schweizer im Ausland nach unserer Herkunft, ist die Antwort klar: Schweiz. Wir fänden es komisch, würden wir als Erstes gefragt: Sind Sie Christin? Genau dies ist aber der Fall bei den Muslimen. Diese werden immer wieder auf ihre Religiosität reduziert. Nehmen Sie mein Beispiel: Ich bin Jemenitin, bin in Ägypten geboren, und inzwischen habe ich die Schweizer Staatsbürgerschaft, lebe seit über zwanzig Jahren in Bern. Was hat meine Identität mit Saudi-Arabien, Sudan, Malaysia oder Indonesien zu tun? Nichts. Deshalb will ich als Mensch, als gleichberechtigte Bürgerin wahrgenommen und nicht auf meinen Glauben reduziert werden.

Den einen Islam gibt es nicht. Welche Folgen hätte die Forderung Christian Giordanos (siehe Kasten unten), je nach Herkunft oder Religion ein anderes Recht anzuwenden, für Minderheiten?
In den Debatten um Multikulturalität wird das Individuum zu Gunsten von religiösen oder kulturellen Gruppen instrumentalisiert. Nicht ich als Mensch stehe im Zentrum, sondern ich als Mitglied dieser Gruppe. Nur wegen meiner religiösen Identität werden spezielle Gesetze angewendet. Doch auch Minderheiten sind nicht homogen. Nehmen wir islamisches Recht: Kinder und Frauen werden hier immer wieder benachteiligt. Das darf nicht sein. Wir müssen an unserem Wert festhalten, bei dem jeder Mensch vor dem Gesetz gleichbehandelt wird.

Wieso dieser Ruf nach Sonderrechten für Minderheiten?
Aus falsch verstandener Rücksicht. Das hat einerseits mit dem Kulturrelativismus zu tun, der Rechtsprechung und Werte wie Gerechtigkeit als kulturell bestimmt und somit als wandelbar betrachtet. Aber Menschenrechte sind nicht verhandelbar! Anderseits ist die Forderung von der «Bürde des weissen Mannes» beeinflusst. Sie meint wegen der kolonialen Vergangenheit, Minderheiten besonders schützen zu müssen. Dabei wird ignoriert, dass diese Sonderrechte die Minderheiten nicht schützen, sondern sie zunehmend von der Gesellschaft separieren. Beispiele aus der Geschichte gibt es genügend.

In Ihrem Buch nehmen Sie die Scharia-Gerichte in England unter die Lupe. Sie plädieren dafür, diese abzuschaffen, weil sie insbesondere Frauen und Kinder diskriminieren. Gab es bereits Reaktionen auf Ihr Buch?
Englische Frauenrechtsorganisationen haben eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Sie sammeln Geld, damit sie jedem britischen Unterhausabgeordneten ein Exemplar meines Buches zukommen lassen können. Sie wollen, dass politische Entscheidungsträger meine Ergebnisse lesen und sich Gedanken über die englische Rechtsprechung machen. Zudem plädiert ein offener Brief an die neue Premierministerin Theresa May für die Abschaffung dieser parallelen Systeme in England. Über 200 Organisationen haben den Brief unterschrieben, der sich auch auf mein Buch bezieht.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Nicola Mohler / reformiert. / 8. August 2016

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