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Die Benzol-Todesfalle in Chinas Handy-Manufakturen

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09.09.2016
Die US-Dokumentarfilmerin Heather White recherchierte in Chinas Elektronikfabriken. Ihr neuer Film zeigt: Tausende von jungen Arbeiterinnen und Arbeitern sterben an Krebs. Die Ursache: das Reinigungsmittel Benzol.

Millionen von jungen Chinesen ziehen vom Land in die neuen Industriezentren, die sich wie eine Perlenkette rund um Hongkong auf dem chinesischen Festland aufreihen. Hier ist auch das globale Zentrum der Handy-Produktion. Die Selbstmordserie bei Foxconn machte international Schlagzeilen. Die Filmemacherin Heather White deckt in ihrem neuen Film «Who pays the price?» einen anderen Skandal auf: Zehntausende werden in den Handy-Fabriken Opfer aufgrund des krebserregenden Benzols. Bei Fastenopfer und Brot für alle machte sie jetzt einen Halt. Ihr schockierender Bericht über den hochgiftigen Umgang mit Benzol in Chinas Hightech-Schmieden zeigt: Die Konsumentinnen und Konsumenten sind gefordert, um bei den Schweizer Handy-Vertreibern Druck aufzusetzen, dass der unsichtbare Killer Benzol bei Samsung, Apple und Co. verbannt wird.

Eine Studie schätzt, dass aufgrund des weltweiten Handy-Booms 100 000 junge Menschen in China an den Folgen einer Benzolvergiftung gestorben sind. Eine schreckliche Zahl.
Heather White: Nun mit den Zahlen ist es so eine Sache. Die Hightech-Manufakturen tun alles, um die statistische Dimension des Problems unsichtbar zu machen, und der chinesische Staat hilft dabei. Man will sich nicht eingestehen, dass die Handy-Industrie aufgrund des unverantwortlichen Benzolgebrauchs eine Leukämie-Welle bei jungen Leuten verursacht.

Sie gehen aber trotz fehlender statistischer Grundlagen davon aus, dass es ein massenhaftes Phänomen ist?
Schon in der ersten Woche, als ich in Spitälern recherchierte, begegnete ich Dutzenden von Krebspatienten. Alle arbeiteten in den Handy-Manufakturen.

Während es sonst ein Staatsgeheimnis ist, durften sie einfach so in Krebskliniken hineinspazieren?
Am Beginn meiner Recherchen gab es kaum Kontrollen. Wahrscheinlich hielten sie mich für eine Bekannte der Patienten. Heute ist es schwierig in die Kliniken zu kommen. Als ich mit meinem Nachforschen startete, waren auch die Familien der jungen Krebspatienten sehr gesprächsbereit. Sie hofften mit ihrem Zeugnis etwas zu bewegen. Heute dagegen müssen die Angehörigen der Benzolopfer, aber auch die Aktivisten der NGOs, die sich für Arbeitsschutzanliegen in der Hightech-Industrie engagieren, staatliche Repressionen fürchten. Das kann zur Zerstörung ihrer Häuser führen. Der wichtigste Darsteller in meinem Dokumentarfilm ist verschwunden. Nicht mehr auffindbar! Viele der von mir gefilmten an Leukämie erkrankten Opfer sind tot. Einer hat nur zwei Wochen nach den Aufnahmen Suizid begangen.

Ein schreckliches Bild, dass Sie da zeichnen. Gibt es denn für die an Leukämie erkrankten Benzolopfer keine Hoffnung auf Heilung?
Würden sie mit der gleichen Krebserkrankung in einem Spital eines westlichen Landes eingewiesen, hätten viele dank besserer Medikamente noch 20 oder 30 Jahre zu leben. So aber sterben sie zwei oder drei Jahre, nachdem ihnen die Diagnose gestellt wurde.

Zahlen die Fabriken keine Entschädigung?
Nein. Sie bestreiten, dass die Leukämie etwas mit dem Benzoleinsatz in ihrer Fabrik zu tun hat. Und der Staat selbst hat die Krankenversicherung abgeschafft. So können sich die Krebskranken die Behandlung nicht leisten oder starten nach langen Gerichtsverfahren gegen die Handy-Firmen viel zu spät.

Und das Benzol ist so aggressiv, dass es schon nach wenigen Jahren zu schweren Krebserkrankungen führt?
Bereits Leute, die mit dem Transport von Benzol zu tun haben, sind aufgrund der Ausdünstungen gefährdet. Aber die Fabrikarbeiter kommen weit stärker damit in Berührung. Vor allem wissen Sie nicht, mit was für einem giftigen Material sie hantieren. Oft wird ihnen das Reinigungswundermittel als Bananenöl angepriesen.

Also die jungen Arbeiter werden ganz zynisch im Unwissen gelassen?
Ja. Manchmal sagt man ihnen, sie sollen Masken und Handschuhe tragen, damit sie keine Fingerabdrücke auf den Bildschirmen hinterlassen und die Geräte nicht mit Speichel in Kontakt kommen. Aber man informiert sie nicht über die gesundheitlichen Risiken.

Immerhin gibt es Handschuhe und Schutzmasken.
Oft ist es zu heiss. Das verführt die Arbeitenden dazu, sie abzuziehen. Und die Handschuhe sind billig und porös, so dass die Beschäftigten doch mit dem Benzol in Kontakt kommen. Man spart an allem.

Wegen dieser Sparpolitik, die noch den letzten Rappen Profit rausholen will, wird wohl auf Benzol -Alternativen verzichtet?
Genau. Denn andere Reinigungsmittel wären teurer.

Sie werden aber in westlichen Ländern angewendet?
Seit Jahrzehnten ist Benzol in vielen Ländern als Reinigungsmittel in der Industrie verboten. Es gibt auch eine Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Benzol zu bannen. Aber China hat diese Konvention nicht unterschrieben. Dort wird über die Hälfte des Benzols weltweit hergestellt und in vielen Industrien, nicht nur in der IT-Industrie, verwendet.

Um wie viel würde ein benzolfreies Handy teurer?
Vielleicht um einen Franken.

Die Opfer sind mehrheitlich zwischen 18 und 25 Jahre alt. Warum trifft es die Jungen?
Sie kommen vom Land in die Stadt, in der Hoffnung, schnell zu Geld zu kommen. Tatsächlich sind sie in den Fabriken schlecht bezahlt und das letzte Glied in der Produktionskette. Aufgrund mangelnder Qualifikationen bleibt ihnen nur der Job übrig, Leiterplatten und Displays mit Benzol zu reinigen.

Sie wollen mit ihrem Film aufrütteln. Sind Sie optimistisch, dass Sie mit diesem Film China überzeugen können, die ILO-Konventionen zu ratifizieren?
Ich denke weniger daran, die korrupte Regierung zu überzeugen. Aber schon mein Buch und meine Zeitungsartikel haben Samsung und Apple auf Trab gebracht. 2014 haben sie einen Bann von Benzol beschlossen.

Aber dann ist die Sache bereits gut unterwegs.
Leider nicht. Jetzt wird wohl bei Foxconn kein Benzol mehr verwendet. Aber die ausgelagerten Zulieferer von Foxconn, die sogenannten Subkontraktoren, machen weiter. Wichtig ist es, dass die Konsumentinnen und Handykäufer bei den globalen Brands und den Telekommunikationsfirmen Druck aufsetzen, weil sie nicht an dem Massensterben chinesischer Jungarbeiter beteiligt sein wollen.

Delf Bucher / reformiert. / 9. September 2016

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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