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Religiöse Minderheiten

Christenverfolgung: aufgeheiztes Klima in Pakistan

von Veronica Bonilla Gurzeler / reformiert.info
min
28.09.2023
Nach Gerüchten, Christen hätten einen Koran entweiht, kam es im August in der pakistanischen Stadt Jaranwala zu einem Sturm der Gewalt gegen die religiöse Minderheit. Ihre Lage ist im ganzen Land weiterhin prekär.

Wenn Matthias Müller Kuhn das Kinderheim «Hope for Children» im christlichen Viertel Iqbal Town in der Hauptstadt Islamabad besucht, verlässt er das Haus nie allein. Vier bis fünf pakistanische Christen begleiten ihn auf Schritt und Tritt. Aus Sicherheitsgründen. Wer hier lebt, ist arm, die Infrastruktur miserabel. Westlich aussehende Menschen wie Müller Kuhn, Gehörlosenpfarrer des Kantons Zürich, verirren sich normalerweise nicht hierher und fallen dementsprechend auf. Ausserdem gehört Müller Kuhn hier als Christ zu einer religiösen Minderheit – und ist damit zusätzlich gefährdet.

Wie akut die Bedrohung für Christen in Pakistan ist, zeigte sich Mitte August. Nach Gerüchten, Christen hätten in der Kleinstadt Jaranwala einen Koran entweiht, zog ein aufgebrachter Mob mit Brandbomben und Schlagstöcken durch die Strassen. Am Ende waren mehrere christliche Kirchen in Brand gesteckt, zahlreiche Geschäfte und Wohnhäuser von Christen verwüstet. «Die Lokalregierung musste mehr als 3000 Polizisten nach Jaranwala entsenden, um die Gewalt unter Kontrolle zu bringen», berichtete die NZZ.

Willkür durch Blasphemiegesetz

Pakistan ist seit seiner Gründung 1947 ein islamisches Land. Die britischen Herrscher verliessen damals den indischen Subkontinent und teilten ihn in zwei unabhängige Staaten: in das hinduistische Indien und ins muslimische Pakistan. «Bei der Staatsgründung waren noch 21 Prozent der Bevölkerung nicht-muslimisch», sagt der gebürtige Pakistani Wilson Rehmat, der seit 2007 in der Schweiz lebt und zu dem Thema geforscht hat. Inzwischen bekennen sich jedoch 96 Prozent der pakistanischen Bevölkerung zum Islam, rund zwei Prozent praktiziert den christlichen Glauben; übrige Religionsgemeinschaften sind Hindus, Buddhisten, Parsen, Ahmaddiyya und Baha’i.

Der Staat und seine Gesetze wurden seit seiner Gründung immer wieder aktiv islamisiert, militante islamistische Gruppen von der Regierung gefördert, etwa während der Militärdiktatur von General Zia-ul-Haq von 1977 bis 1988. Ein Grundproblem ist das Blasphemiegesetz, das sehr willkürlich ausgelegt werden kann und zu grosser Unsicherheit führt (siehe Infobox). «Die Bevölkerung ist gespalten, es gibt auch gemässigte Muslime», sagt Pakistan-Kenner Müller Kuhn. «Auffallend ist jedoch, dass Religion in weiten Teilen der Gesellschaft sehr explizit und emotional gelebt wird, sowohl von den Christen wie auch von den Muslimen.»

Orange Mauer und eine blaue Tür. Rund um die Tür arabische Schriftzeichen und die Worte AGAPE Evangelical Church

Christliche Kirche in einem Slum in Islamabad.

Pakistanische Frau in traditioneller Kleidung spielt ein Tasteninstrument.

Die Frau des Pfarrers spielt im Gottesdienst ein typisches Instrument zur Liedbegleitung.

Religiös ergriffene Menschen

Fünfmal am Tag ruft der Muezzin unüberhörbar zum Gebet und die zahlreichen Moscheen sind jedes Mal rappelvoll. Auch die Christen, die aus Sicherheitsgründen in eigenen Vierteln leben, praktizieren ihren Glauben gut hör- und sichtbar, sowohl in den offiziellen Kirchen, als auch in den zahlreichen Homechurches. «Am Sonntag tönt aus jedem dritten Haus lauter Gesang, charismatische Predigten werden gehalten. Prozessionen und Umzüge sind überschäumender Ausdruck des christlichen Glaubens», sagt Müller Kuhn.

Als Müller Kuhns Hilfswerk damals ein Haus für das Kinderheim baute, entstand im Ess-Saal eine Homechurch – «komplett ungeplant, weil das Bedürfnis der Leute da war, Gottesdienst zu feiern». Müller Kuhn wurde gebeten, die Predigt zu halten. «Ich habe nie wieder einen Gottesdienst erlebt, an dem die Menschen ergriffener waren. 200 Leute waren da, die Stimmung war sehr intensiv.» Ähnlich sei es wohl bei den Urchristen im römischen Reich vor fast 2000 Jahren gewesen, die ebenfalls bedroht waren und sich verstecken mussten. «In einer solchen Situation erhält der Glaube etwas Existenzielles, aus dem man Kraft schöpft.»

Traditionell gekleidete christliche Pakistani sitzen auf einem Teppich am Boden.

Gottesdienst in der Homechurch des Kinderheims Hope of Children in Islamabad.

Mehrheitlich Frauen und Kinder sitzen auf dem Boden mit einem Teller auf dem Schoss.

Anschliessend an den Gottesdienst gibt es ein Essen für alle.

Kirche und Politik müssen hinschauen

Gemässigte Kreise kritisieren längst, dass der religiöse Extremismus der Islamisten die Stabilität des Landes gefährdet, doch die Regierung tut sich schwer damit, eine klare Haltung zu finden. Tausende Menschen wurden bisher Opfer der konfessionellen Gewalt. Das Land steht grossen wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. In den christlichen Siedlungen ist das wirtschaftliche Elend besonders ausgeprägt.

Wer weiss, was passiert, wenn die Aufmerksamkeit aus dem Ausland nachlässt?

«Die Lage der Christen in Pakistan muss international Beachtung finden», sagt Wilson Rehmat, methodistischer Pfarrer in Embrach ZH. Ende August wäre es in der Hauptstadt Islamabad beinahe zu ähnlichen Vorfällen religiöser Gewalt gekommen wie zuvor in Jaranwala. «Weil die internationale Aufmerksamkeit zurzeit gross ist, setzte die Regierung alles daran erneute Gewalt zu verhindern – dieses Mal mit Erfolg», sagt Müller. Kuhn «Doch wer weiss, was passiert, wenn die Aufmerksamkeit aus dem Ausland nachlässt?»

Der ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf, dem die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) angehört, hat sich nach den Vorfällen im August in einem Schreiben an den Uno-Botschafter Pakistans in Genf gewandt. Nach Auskunft von Martin Hirzel, Leiter Aussenbeziehungen der EKS, thematisierten EKS und ÖRK die bedrohte Religionsfreiheit in Pakistan zudem in einem Gespräch mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Die Lage der Christen bleibt prekär. «Solange der Staat nicht jedem Pakistani Schutz und Recht gewährt, werden sich die Christen in Pakistan weiter bedroht fühlen», sagt Müller Kuhn.

 

Verbotene Gotteslästerung

Das Blasphemiegesetz Pakistans zählt zu den strengsten der Welt. Eingeführt wurde es bereits 1927 von der britischen Kolonialmacht, um den stets labilen Frieden zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften im indischen Subkontinent zu wahren. Mittels abschreckender Strafen sollte damit die Verletzung religiöser Gefühle und Befindlichkeiten minimiert werden.

Nach der Staatsgründung 1947 wurde das Blasphemiegesetz beibehalten und seit den 1980er Jahren mehrmals verschärft, das letzte Mal im März 2023. Heute verbietet es jegliche Äusserung oder Handlung gegen den Islam, im schlimmsten Fall kann die Todesstrafe ausgesprochen werden. Weil die unteren Gerichte in der Regel keine Beweise für die Anschuldigungen verlangen, kann jeder jeden beschuldigen und damit auch persönliche Rechnungen begleichen.Das Gesetz wird von Kritikern als schlimmstes Instrument religiöser Unterdrückung bezeichnet.

Je ein Viertel aller Blasphemie-Anklagen richtet sich gegen Christen und Hindus, die Hälfte gegen Muslime.

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