«Geld wird dann erst zum Wert, wenn es in Freude umgesetzt ist»
Bis zum Juni hat Ina Praetorius viel zu tun. Sie diskutiert bald wöchentlich auf Podien und hält zahlreiche Vorträge, auch in Deutschland und Österreich. Auch dort ist man auf die Schweizer Theologin, die in Heidelberg promovierte, aufmerksam geworden. Und die Medien geben sich die Klinke ihres beschaulichen Bauernhauses in Wattwil in die Hand. Der Grund: Die 60-Jährige sitzt im Komitee der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen, über die das Schweizervolk im Juni abstimmt. Sie selbst gehört zu den führenden Theologen in der Schweiz. In Tübingen, Zürich und Heidelberg studierte Ina Praetorius Theologie und Germanistik und war wissenschaftliche Assistentin bei Hans Ruh am sozialethischen Institut in Zürich. Auch Ruh ist ein leidenschaftlicher Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens.
Ungerechte Verteilung
An der Thematik des Grundeinkommens arbeitet Praetorius schon lange. Schon seit Jahrzehnten setzt sie sich mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Haus- und Erziehungsarbeit auseinander und stellte fest, dass Millionen, meist Frauen, unentgeltliche Arbeit für die Allgemeinheit leisten. «Sie ziehen die nächste Generation auf und sichern so der Gesellschaft, dem Staat und der Wirtschaft die Zukunft. Und das gratis.» Die Verteilung des Geldes bilde eine massive Ungerechtigkeit, sagt Ina Praetorius. Das zeige schon die Anzahl der Alleinerziehenden, die unter der Armutsgrenze leben. «Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das Leben all dieser Menschen massiv erleichtern.»
Keine Sozialromantik
Spricht da nicht die Sozialromantikerin? «Keineswegs», meint Ina Praetorius. Wenn sie den Leuten am Info-Stand vorrechnet, wer schon heute diese 2500 Franken erhält, die das Grundeinkommen vorsieht, werden viele hellhörig. Nach kurzer Zeit finden dann etliche, das sei eigentlich ein guter Gedanke.
Für die Umsetzung der Initiative sei genug Geld da. Ihr Gelingen sei nur eine Frage des politischen Willens, der Verteilung und des Menschenbildes, glaubt Praetorius. Gerade der biblische und zutiefst reformierte Gedanke, dass der gnädige Gott uns Menschen akzeptiere, ohne dass wir zuerst etwas leisten müssen, laufe auf ein Grundeinkommen hinaus. «Auch Gott liebt uns bedingungslos.»
«Faulheit wird unerträglich»
Praetorius ist überzeugt, dass nur die wenigsten nicht mehr arbeiten würden und zu Hause faul auf dem Sofa lägen, wenn sie ein Grundeinkommen erhielten. «Nach ein paar Monaten ohne Beschäftigung wird die Faulheit und Untätigkeit im Alltag unerträglich langweilig. Das hält niemand lange aus.» Denn Arbeit bedeute auch Sinn, soziale Kontakte und Erfüllung, meint die Theologin, die selbst freischaffend ist. «Die Behauptung, dass Menschen mit Grundeinkommen faul werden, ist falsch und in Studien vielfach widerlegt.» Wer hätte schliesslich ohne Gratisarbeit als Säugling überlebt? «Wir alle sind abhängig vom unbezahlten Einsatz, den die Mütter, Väter und Grosseltern erbringen.» Statistisch betrage dies mehr als die Hälfte aller Arbeitsleistung in der Schweiz.
Für Ina Praetorius bedeutet Geld Freiheit und Sicherheit, gerade in einer Gesellschaft, die das Geld so stark ins Zentrum rückt wie die Schweiz. Doch diese Freiheit verbindet sie mit der Verantwortung, auch «für das gute Leben der anderen zu sorgen und nicht nur für sich selber».
Geld nicht verteufeln
Die Theologin will das Geld nicht als Ausdruck der Gier und des Geizes verteufeln. Geld könne das Leben besser machen und vereinfachen. Aber auch schlechter, wenn die Finanzen zum Lebensmittelpunkt werden. Dann werde es lebensfeindlich. Steueroasen, Panama-Papiere, angelegt mit dem Ziel, das Vermögen zu vermehren und den Luxus zu steigern, seien verheerend. Sie zerstörten die Existenz von anderen. Praetorius hält es mit ihrer Mutter, die betonte: Geld wird dann erst zum Wert, wenn es in Freude umgesetzt ist – in Freude für mich oder andere.
Ina Praetorius sieht es als ersten Erfolg, dass man nun über das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert. Solchen Überlegungen müsse sich die Gesellschaft in Zukunft umso mehr stellen, wenn die digitale Revolution weiter Jobs frisst, die Arbeitswelt noch flexibler wird, die Zahl der Rentner steigt und der Staat ständig mehr Menschen unterstützen muss. Auch für die AHV, das Frauenstimmrecht und den Zivildienst brauchte es mehrere Anläufe, bis das Schweizervolk sie annahm. Heute wolle niemand mehr darauf verzichten.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Tilmann Zuber / Kirchenbote / 20. April 2016
«Geld wird dann erst zum Wert, wenn es in Freude umgesetzt ist»