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Wann wird Reichtum unmoralisch?

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06.05.2016
Regelmässig macht die Wirtschaft Schlagzeilen: Mal wegen Steueroasen, mal wegen Millionengehältern, mal wegen Massenentlassungen. Was ist mit der Wirtschaft los? Ein Gespräch mit dem Theologen Christoph Stückelberger über Geld, Gier und Kapitalismus.

Christoph Stückelberger, vor kurzem gerieten die Steueroasen in Panama und andernorts in die Schlagzeilen. Ist dies Ausdruck dafür, dass unsere Wirtschaft krankt?

Die Globalisierung hat viele positiven Seiten wie Handelsfreiheit, Austausch von Gütern, Personen und Ideen. Doch sie bringt auch Nachteile mit. Sie steht in Spannung zu den Nationalstaaten, die Spielregeln anders handhaben und Schlupflöcher ermöglichen. Das zeigt, es braucht eine erweiterte internationale Kooperation und Regelung, die solche Oasen miteinschliesst.

Wird es nicht trotz Regelungen neue Steueroasen geben?

Es wird immer Verschiebungen geben. Wenn die Steueroasen in Panama, auf den Cyman Islands und Mauritius im automatischen Informationsaustausch angeschlossen sind, so werden sich neue Oasen in einem Kleinstaat in Afrika oder auf einer Insel im Pazifik wiederholen. Nicht die Wirtschaft per se ist krank, sondern es braucht die globale Zusammenarbeit, um die Finanzmärkte ethisch zu regulieren.

Was bedeutet Geld für Sie?

Geld ist aus christlich-ethischer Sicht zunächst etwas Neutrales. Es ist ein Zahlungs- und ein Produktionsmittel.

Ist Geld nicht ein Ausdruck für die menschliche Gier?

Das ist falsch. Wir alle brauchen Mittel, um unsere Existenz zu sichern, um Nahrungsmittel zu kaufen und die Wohnung und Bildung zu zahlen. Geld ist positiv, auch aus christlicher Sicht. Wir erhalten einen Lohn, der uns ein Leben in Würde ermöglicht, ohne von anderen abhängig zu sein. Wenn es in Gier umschlägt, macht Geld abhängig und versklavt Menschen.

Davor warnt die Bibel?

Ja. Das ist die biblische Botschaft: Geld ist nicht negativ, aber es kann als «Mammon» zum Götzen werden. Christen vertrauen auf  Gott. Problematisch wird es, wenn ihr Vertrauen nur auf materieller Sicherheit beruht. Gerade in Finanzkrisen merkt man, wie leicht Geld vergänglich ist, verrottet und wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt. Deshalb warnt die Bibel, nicht auf die Finanzen abzustellen. Das Geld soll benutzt werden, um Gutes zu tun, ein Leben in Würde zu führen und dies anderen zu ermöglichen. Geld wird negativ, wenn es zu Ausbeutung und Unterdrückung missbraucht wird.

Warum wollen wir immer mehr Geld?

Seit es Menschen gibt, begleitet sie die existenzielle Angst, zu wenig zum Leben zu haben. Deshalb sparen die Menschen und häufen Geld an. Das kann rasch in Raffgier umkippen, wenn dieser Glaube, dass Gott uns nicht fallen lässt, fehlt.

Und da kommen andere Beweggründe ins Spiel.

Ja. Gier entsteht auch aus dem Bedürfnis nach Macht, Einfluss und Ansehen.

Geld macht sexy. Hat Geld nicht eine so starke magische Anziehungskraft, dass letztlich die meisten dem Gewinn erliegen?

Nicht jeder Gewinn ist anrüchig. Man muss unterscheiden, woher er stammt. Wenn jemand eine geniale Idee hat, eine Firma gründet, Arbeitsplätze schafft und Gewinn erzielt, so ist dies ethisch gerechtfertigt. Seine Innovation wird honoriert. Gewinn ist ethisch, solange man ihn fair erwirtschaftet, reinvestiert und Gutes tut. Wenn dieser wirtschaftliche Erfolg jedoch auf Ausbeutung beruht, sei es der Arbeitenden, der Umwelt oder der Öffentlichkeit, und man dem Unternehmen Finanzen entzieht, um seinen Luxus zu finanzieren, dann schafft man keinen gesellschaftlichen Mehrwert, sondern schädigt die Gesellschaft. Die Bibel ist da sehr realistisch: Sie warnt davor, dass die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter auseinandergeht, wenn man der Gier verfällt, andere ausbeutet und Reichtum anhäuft.

Ist die Bibel da nicht radikaler? Jesus weist den reichen Jüngling, der nicht von seinem Geld ablässt, brüsk zurück. Ist das nicht die Absage an alle Begüterten, die so nicht in den Himmel kommen?

Das wäre eine falsche Generalisierung. Zugegeben, es ist ein schroffer Text. Der Kern besagt, dass der reiche Jüngling nicht die Priorität der nahen Jesusnachfolge sieht. Er will seine materielle Sicherheit nicht loslassen und deshalb Jesus nicht nachfolgen. Nicht dass er reich ist, ist sein Problem, sondern dass er nicht bereit ist, diesen Reichtum zugunsten des Gottesreiches einzusetzen.

Bildeten Reiche für die Jesus-Bewegung kein Problem?

Es gab reiche Frauen, die Jesus unterstützten. Dies wurde durchaus positiv gesehen, nicht nur in der Bibel, sondern auch später. Im 3. Jahrhundert debattierte die Kirche, ob man Vermögende aus der Kirche ausschliessen sollte. Die Antwort des Bischofs von Alexandria lautete: Nein, auch die Reichen sollten die Chance erhalten, Mitglied der Kirche zu werden. Entscheidend ist nicht ihr Reichtum, sondern woher er stammt und was sie damit tun.

Wann wird Reichtum unmoralisch?

Das ist eine komplexe Frage. Beim Kirchenbund habe ich eine Studie zu den Spitzenlöhnen mitverfasst. Wir stellten fest, Gehälter sind unmoralisch, wenn sie die Gesellschaft polarisieren. Wenn die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinandergeht, dann führt dies zu sozialen Konflikten, spaltet die Gesellschaft, hindert die soziale und wirtschaftliche Integration und fördert Revolutionen. Das geschieht heute vielerorts.

Lässt sich diese Grenze zur Unmoral auch in Zahlen ausdrücken?

Es gibt nicht einen absoluten Massstab, der besagt, eine Million Jahresgehalt sei zu viel. Es geht um die Relation. In der Studie stellten wir fest, dass innerhalb eines Unternehmens der Unterschied zwischen dem untersten und obersten Gehalt nicht mehr als 1 zu 40 betragen sollte. Bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts war dies in vielen Industriestaaten so. Wenn wir heute ein Verhältnis zwischen 1 zu 500 haben, dann fehlt die Akzeptanz des Managements im Unternehmen und in der Gesellschaft.

Was schlägt der Kirchenbund vor: Die unteren Löhne anheben oder die oberen zu kürzen?

Um ein vernünftiges Verhältnis zu erreichen, ist beides nötig. Wir müssen eine massvolle Regelung finden, um die Mittelschicht und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Alle Gesellschaften, welche die Mittelschicht zugunsten einer kleinen Ober- und einer grossen Armutsschicht minimieren, sind instabile, kriegs- und revolutionsgefährdete Modelle. Gesellschaften mit starken Mittelschichten sind stabiler.

In letzter Zeit haben Milliardäre wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Bill Gates angefangen, Teile ihres Vermögens zu verschenken.

Es ist ein interessantes Phänomen, dass jüngere Leute zwischen 30 und 50 Jahren ihren Reichtum in soziale Projekte investieren. Bisher war die Mehrheit der Philanthropen über 50. Heute kommt eine junge Generation rasch zu viel Reichtum. Ob das nun chinesische Unternehmer sind oder jene aus dem Silikon Valley. Dieser Reichtum basiert auf einer hinterfragbaren Wirtschaftsleistung, denn die Unternehmen sind oft überbewertet. Grundsätzlich sind diese Spenden und Stiftungen zu begrüssen. Doch dieser Reichtum basiert teilweise auf legaler, aber nicht legitimer Steueroptimierung, wie im Fall von Google oder Facebook mit Island. Aus ethischer Sicht ist das fragwürdig. Ein Teil dieses Reichtums gehört der Öffentlichkeit. Man sollte nicht den Staat hintergehen, um dann als Menschenfreund Beiträge grosszügig zu verteilen.

Das ist politisch heikel.

Ja. Über die Verwendung der Mittel entscheidet nicht mehr eine demokratisch gewählte Regierung, sondern der Unternehmer. Er erlangt damit enorme politische Macht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf (ich sehe sie von meinem Büro) hängt heute von privaten Geldgebern wie Bill Gates ab, da die Staaten kein Geld haben oder keinen Willen zeigen, die UNO-Organisationen genügend zu unterstützen.

So wird die Politik zur die Angelegenheit von Milliardären wie Donald Trump oder Christoph Blocher.

Ja, das kann Ausdruck davon sein.

Ihre Stiftung Globethics.net hat seinen Sitz in Genf, der Stadt des Reformators Jean Calvin. Es heisst, der Calvinismus habe den Kapitalismus begründet.

Die These von Max Weber, dass der Geist des Kapitalismus aus dem Protestantismus entstanden sei, ist nicht völlig falsch, spiegelt aber den schottischen Puritanismus und hat fast nichts mit Jean Calvin zu tun. Calvin können wir heute als Verfechter der sozialen Marktwirtschaft bezeichnen. Er war für das Zinsnehmen. Er sah Zinsnehmen nicht per se als negativ, sofern es unter gleichwertigen Wirtschaftspartnern geschieht. Er war aber gegen das Zinsnehmen bei den Armen. Ihnen sollte man ein zinsloses Darlehen gewähren. Die These, der Calvinismus habe den Kapitalismus erfunden, ist falsch. Calvins Kernbotschaft war die Sozialverträglichkeit der Wirtschaft. Er begründete den Sozialstaat. Er verbot das Betteln, da es unwürdig sei, von Almosen zu leben. Für Calvin haben der Staat und die Gesellschaft die Verantwortung, für die Armen Arbeitsplätze zu schaffen, sodass sie in Würde leben können, und die Arbeitsfähigen sollen arbeiten. Das ist soziale Marktwirtschaft.

Wie hängen Reformation und Kapitalismus zusammen?

Die Reformatoren haben die Naturwissenschaften stark gefördert, während die katholische Kirche damals die Wissenschaft als Gefahr für den Glauben betrachtet hat. Calvin sagte, die Wissenschaft trage zum Gotteslob bei, denn wir erkennen die Grösse und das Wunder der Schöpfung und des Schöpfers, wenn wir sie durch das Auge der Wissenschaft sehen. Diese Einsicht war eine Triebfeder für die marktwirtschaftliche Entwicklung, denn Marktwirtschaft ist mit der Technologie- und Wissenschaftsentwicklung eng gekoppelt.

Entspricht Calvins Sozialethik dem biblischen Bild einer gerechten Gesellschaft?

Ja, die Bibel spricht ja von einer inklusiven Gesellschaft. Deshalb sollte man für alle Menschen in der Gesellschaft, die Alten, Waisen, Witwen, Armen und Flüchtlinge, sorgen und in die Wirtschaftsprozesse einbeziehen. Diese sollen nicht ausgeschlossen, sondern einbezogen werden.

Der Volksmund sagt, Geld regiert die Welt. Werden wir uns je von der Macht des Geldes befreien können?

Das christliche Menschenbild ist äusserst realistisch. Es weiss, wir Menschen sind keine Heiligen. Wir sind hin- und hergerissen zwischen Egoismus, Gier und Solidarität und Verantwortungsgefühl. Es gibt viele, die bereit sind, die Verantwortung zu übernehmen und sich sozial zu engagieren. Ich erlebe es immer wieder, wie Gottes Geist die Herzen der Menschen öffnet und ihnen zeigt, wo Korrekturen notwendig sind. Das geschieht besonders in den Krisen. Man verliert plötzlich mit Spekulation die Hälfte seines Vermögens. Das öffnet die Augen und man fragt sich, will ich diesen Irrsinn mitmachen oder besser der Realwirtschaft dienen und Arbeitsplätze schaffen?

Tilmann Zuber, 26.04.2016

 

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