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Ein Truck tourt durch Europa

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05.11.2016
Vertreter aus Kirche und Politik kamen am Donnerstag, 3. November, in Genf zusammen, um die Eröffnung des «Europäischen Stationenwegs» zum Reformationsjubiläum zu begehen. Im Zentrum: Ein 17 Meter langer Lastwagen, der 68 Orte in 19 europäischen Ländern anfährt, um Geschichten zur Reformation zu erzählen und zu sammeln.

«Was würden wohl Calvin oder Zwingli denken, wenn sie einen katholischen Bundesrat aus Freiburg sähen, der in Genf eine Ansprache zum Reformationsjubiläum hält?» So, die – rhetorische – Frage von Bundesrat Alain Berset, der an diesem Morgen extra angereist war, um das Ereignis zu würdigen.

Auch wenn die Reformatoren, gelinde gesagt, «erstaunt» wären, gehöre die Reformation nicht nur den Reformierten, so Berset. Denn durch sie seien Ideen in die Welt gesetzt worden, die auch heute noch Grundlagen für den modernen Staat sind: Die Freiheit des Individuums. Und die Sorge um das Gemeinwohl.

Ähnlich tönte es von SEK-Ratspräsident Gottfried Locher, der gleichzeitig der Präsident der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) ist: «Wir betreiben hier keinen Personenkult um Luther, Zwingli oder Calvin.» Vielmehr gehe es um die Reformation als Bewegung. «Die Schweiz wäre nicht die Schweiz von heute ohne die Reformation. Dies wollen wir in diesem Jubiläum zeigen», so Locher. Für den Kirchenbund stehe im Jubiläumsjahr nicht der Thesenanschlag von vor 500 Jahren im Vordergrund, sondern die Frage, was die Reformation für die Generation von heute und morgen bedeute. «Quer denken, frei handeln, neu glauben», lautet deshalb der Slogan des Kirchenbundes für das Jubiläum.

Provinzstadt Genf?
Auch das Genf von heute wäre ohne Reformation «wahrscheinlich eine kleine Provinzstadt», so Emmanuel Fuchs, Präsident der Genfer reformierten Kirche EPG. Das Erbe der Reformation bedeute aber auch eine grosse Verantwortung für die Zukunft. Nicht «Hüter einer Tradition» sollten die Reformierten sein, sondern eine «ecclesia semper reformanda», eine immer wieder neu zu reformierende Kirche, die auf die Fragen der Zeitgenossen höre und die Herausforderungen der Zeit wie Klimawandel oder Migration erkenne.

Der Bus, der nach Genf noch weiter 67 Orte in ganz Europa anfahren wird, ist ein gemeinsames Projekt der GEKE, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des SEK. Er soll «Geschichten zur Reformation» aus den Stationen auf die Reise bringen, die dann im Mai in die Weltausstellung zum Reformationsjubiläum in Wittenberg einfliessen.

Dieser «Europäische Stationenweg» sei «genau die Idee, die wir jetzt in Europa brauchen», so der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Denn: «Wir müssen über Grenzen hinwegkommen.» Nicht nur über die 19 Staatgrenzen auf dem Weg, sondern auch über Konfessionsgrenzen: 47 Landeskirchen machen mit, Reformierte, Lutheraner und sogar Anglikaner. Und die Geschichten, die der Truck erzählen soll, handeln nicht nur von den Ereignissen vor 500 Jahren. Auch Wuppertal, Geburtsort der Barmer theologischen Erklärung von 1934, ist zum Beispiel eine Station.

Kinderkrankheiten
Natürlich war die Besichtigung des insgesamt 33 Tonnen schweren Gefährts auf der Genfer Plaine de Plainpalais ein Muss für alle Anwesenden. Hier zeigte sich allerdings, dass das Gefährt oder vielmehr sein multimedial aufgestellter Innenraum noch einige Kinderkrankheiten aufweist. Die technische Panne, die dazu führte, dass zeitweise nur einer von fünf Bildschirmen benutzbar war, kann sicher mit etwas Knowhow überwunden werden. Aber warum spricht von den zahlreichen jungen deutschen Busbegleitern kaum einer Französisch? Das könnte auf dem weiteren Weg auch in Neuenburg, Lausanne oder Strassburg hinderlich sein. Und, in Genfer Augen besonders anstössig: Auf der grossen Landkarte auf dem Boden des Innenraums stehen die Namen der Stationen in ihrer ursprünglichen Sprache, es heisst «Roma» oder «Praha». Einzige Ausnahme: Genf, das auf dieser Landkarte eben «Genf» heisst und nicht «Genève».

Doch diese kleinen Unzulänglichkeiten taten den Festivitäten keinen Abbruch. Professoren der theologischen Fakultät hielten für das breite Publikum Kurzvorträge über Fegefeuer, reformierte Frauen oder calvinistischen Kapitalismus. Ein runder Tisch, an dem auch Locher und Bedford-Strohm teilnahmen, fragte unter dem Thema «Reformation – Klammer zu?», ob die Reformation heute überflüssig geworden sei. Antwort: Eher nicht, 500 Jahre Tradition, Geschichte, Spiritualität lassen sich nicht so einfach «ausklammern». Auch wenn Luther sich mit dem heutigen Papst wahrscheinlich besser verstanden hätte als mit dem damaligen.

Grundstein für heutige Organisationen
Zur Zeit Luthers und Calvins bedeutete Reformation dagegen notwendigerweise auch Konflikt. Aber in Genf kann man das Paradox bewundern, dass unfriedliche Ereignisse vor 500 Jahren den Grundstein legten für Uno, Rotes Kreuz oder den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), Organisationen also, die für die Überwindung von Spaltung, Konflikt und Gewalt arbeiten. Dies wurde am Abend in einer Podiumsdiskussion gewürdigt, auf der Vertreter der kirchlichen Gemeinschaften, der Unicef und der Stiftung Right Livelihood Award («alternativer Nobelpreis») darlegten, was ihre Organisation für den Weltfrieden leistet.

So konnte man zum Beispiel erfahren, dass die Weltgemeinschaft reformierter Kirchen den Dialog zwischen Nord- und Südkorea fördert. Dialog und Kommunikation waren auch für die anderen Teilnehmenden zentral für die Friedensarbeit. «Der wichtigste Grund für Krieg ist Nicht-Kommunikation», so Heinrich Bedford-Strohm. Und die Kirchen als weltweite Netzwerke der Zivilgesellschaft könnten als Kommunikationsmultiplikatoren dienen, indem sie «Geschichten erzählen».

Genf, Stadt des Friedens
Wenn er zum Beispiel einen Bischof in Malaysia besuche, könne er von ihm (vielleicht nicht ganz erfreuliche) Geschichten über deutsche Unternehmen in diesem Land hören – und sie dann an die entsprechenden Stellen weitergeben. ÖRK-Generalsekretär Olaf Fykse Tveit betonte die Verpflichtung seiner Organisation, Brücken zu bauen und sich für einen gerechten Frieden einzusetzen. Und das nicht nur im Dialog mit anderen Kirchen, sondern auch auf politischer und interreligiöser Ebene.

Die Genfer Geschichte, in der ein roter Faden von der Reformation über die Aufklärung zu internationalen Friedenarbeit führt, ist wahrscheinlich einzigartig. Und so lautete das Motto des Tages auch selbstbewusst: «Genf, Reformationsstadt, internationales und ökumenisches Zentrum, Stadt des Friedens.»

Marianne Weymann / ref.ch / 5. November 2016

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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