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«Niemand kann allen Facetten des Pfarrberufs genügen»

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23.01.2017
Das Thema Burnout bei Pfarrpersonen macht in den Medien die Runde. Pfarrer und Psychotherapeut Achim Menges hat im Auftrag der St. Galler Kantonalkirche ein Team aufgebaut, welches Kirchenmitarbeitende bei Anzeichen von Burnout berät. Ein Gespräch über ein Tabu und wie Betroffenen geholfen werden kann.

Studien aus Deutschland zeigen, dass vier bis sechs Prozent der Pfarrpersonen akut unter einem Burnout leiden und 20 Prozent gefährdet sind. Herr Menges, was macht den Pfarrberuf so anfällig für diese Erkrankung?
Häufig haben Pfarrerinnen und Pfarrer ein hohes Pflichtbewusstsein, hohe Ansprüche an sich, und sie halten es sehr lange aus, bis sie sich Hilfe holen – vielleicht zu lange. In den Köpfen vieler Leute herrscht die Vorstellung, dass ein Pfarrer ja Zugang zu geistlichen Ressourcen hat und jemand ist, der eher hilft und berät als selbst Hilfe braucht. Besonders im Einzelpfarramt ist man häufig auf sich alleine gestellt und hat zu wenig Austausch mit anderen. Hinzu kommt, dass Pfarrpersonen sich weitgehend selber führen müssen. Das kann eine grosse Herausforderung sein, zum Beispiel im Umgang mit Überstunden und Kompensationen.

Fordert die Arbeitgeberin Kirche zu viel von ihren Mitarbeitenden?
Die Kirche ist im Umbruch. Reorganisationen und Sparmassnahmen können Mitarbeitende unter Druck setzen. Allerdings: In einer Atmosphäre des Vertrauens herrscht weniger Gefahr, dass Mitarbeiter und Behördenmitglieder ausbrennen. Die St. Galler Kantonalkirche bietet seit etwa 2000 gezielt Mitarbeiterförderung und Behördenschulung an. Steht eine Reorganisation an, hilft es, wenn Behörden und Mitarbeitende sich auf klare Ziele verständigen und den Prozess zeitlich überschaubar gestalten.

Reden Pfarrer über ihr Burnout?
Ich beobachte eine grosse Hemmschwelle. Diese zu überwinden heisst, offen zu sein – auch mit sich selber. Ich muss als Pfarrer anerkennen, dass bei mir eine Situation eingetroffen ist, wo allein mit Willensanstrengung nichts mehr geht. Ungewollt in einer Situation der Unsicherheit zu sein und Hilfe von aussen zu brauchen, vielleicht sogar eine Auszeit in einer Burnout-Klinik, ist anfangs schwierig einzugestehen.

Wann spricht man überhaupt von einem Burnout?
Burnout ist ein Syndrom mit verschiedenen Symptomen. Es geht im Wesentlichen um eine Überstressung. Hohe Anforderungen von aussen (Stressoren) treffen auf hohe innere Ansprüche (Stressverstärker). Das ist alles okay, solange innerlich ein Gleichgewicht da ist und es auch Erholungsphasen gibt. Gelingt der Ausgleich nicht mehr, kann das zu einem Burnout führen.

Bei welchen Anzeichen empfehlen Sie eine Beratung?
Ich empfehle präventive Beratung. Hier geht es um die Förderung von Bewusstheit für die eigene Gesundheit und ein Ernstnehmen von Erschöpfungszeichen. Beratung kann auf die Stärkung der Widerstandsfähigkeit zielen, auf mehr Ausgleich, aber auch auf das Angehen von belastenden Situationen und Konstellationen. Wer sich bereits ausgebrannt und leer fühlt, keine Freude bei der Arbeit und im Leben verspürt, nicht gut schläft, sich wie in einem Hamsterrad fühlt, zeigt Anzeichen für eine Erschöpfung. Auch können sich Konflikte häufen. Häufig haben die Betroffenen das Gefühl, dass sie die Umstände nicht genügend beeinflussen können, und eine Beratung erscheint möglicherweise sogar als zusätzlicher Stress. Da macht es natürlich besonders Sinn, sich Beratung zu holen.

Wie helfen Sie konkret?
Wir versuchen gemeinsam, die Situation zu erfassen und schauen mögliche Schritte an: Welche Ressourcen sind da oder können wieder aktiviert werden? Was hilft mir erfahrungsgemäss zur Stressbewältigung? Ist Offenheit da für das Erlernen einer Entspannungsmethode? Hilft vielleicht Musiktherapie oder möchte ich üben, mir selbst ein guter Freund zu sein? Mit wem muss ich reden, damit ich Erholung erhalte? Wir können mit Blick auf das Umfeld klären, was entlasten würde, bis beispielsweise hin zur Ferienplanung.

Soll ich einen Pfarrer darauf ansprechen, wenn ich Anzeichen für ein Burnout sehe?
Meiner Meinung nach ist es gut, das Thema anzusprechen. Grundsätzlich ist das Ansprechen gelebte Zuwendung und Wertschätzung, da man sich um den anderen kümmert. Auch hier gilt aber: Wenn in einer Kirchgemeinde eine Kultur des Vertrauens herrscht, dann ist es einfacher. Man muss natürlich auch die Sicht des «Betroffenen» wertschätzen. Vielleicht sieht er es noch nicht, oder sieht es zu Recht anders.

Müsste nicht schon in der Ausbildung thematisiert werden, wie man ein Burnout vermeidet?
Pfarrpersonen sollten sich bewusst sein, dass niemand allen Facetten des Pfarrberufs genügen kann. Das Kompetenzstrukturmodell, welches in der Pfarrausbildung nun gelehrt wird, hilft in diesem Punkt.

Kann ein Burnout jeden treffen oder braucht es da eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur?
Natürlich gehen die Menschen unterschiedlich mit Stress um, aber ich denke, es kann jeden treffen. Eine Erkrankung kann man durchaus als «gesunde» Reaktion auf zu viel Stress verstehen.

Nathalie Dürmüller / ref.ch / 23. Januar 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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