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In der Enge der Hohlen Gasse begraben

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23.02.2017
Mehr als 200 Menschen aus Kultur, Hilfswerken und Politik nahmen in Immensee Abschied vom Schriftsteller und Visionär Al Imfeld. Die Abdankung war nicht frei von Nebengeräuschen.

«Noch ist die Biographie von Al Imfeld nicht geschrieben», sagte Pirmin Meier bei der Abdankung von Al Imfeld in der Kirche der Schweizerischen Missionsgesellschaft Bethlehem Immensee (SMB). Schon in seinem Nachruf in der «Luzerner Zeitung» hat der Historiker und Schriftsteller diese These aufgestellt – trotz der umfangreichen Biographie über Imfeld von Lotta Sutter.

Mitdenker statt Querdenker
Die Deutung der Biographie - das war das grosse Thema an den langen Tischen beim Trauermahl im Missionsgebäude Immensee, das oberhalb der «Hohlen Gasse» gelegen ist. Jede und jeder wollte noch ein persönliches Erinnerungsstück an Al Imfeld hervorkramen, wollte ein Puzzleteil zum Lebensbild des Verstorbenen liefern, dem in vielen der medialen Nachrufe das Wort Querdenker als Etikett aufgeklebt wurde. «Querdenker», sagte eine Frau entrüstet, «nein, Al war ein Mitdenker.» Sie erinnerte daran, wie konstruktiv und engagiert er als Vorstandsmitglied eines kleinen afrikanischen Hilfswerks mitgewirkt hat. Und noch etwas ärgerte sie: «Afrika hatte wohl bei der Trauerfeier keinen Platz.» Afrika, das grosse Lebensthema von Al Imfeld blieb in der Abdankungszermonie des Generalvikars unerwähnt.

Karl Rechsteiner aus dem Emmental, Mitinitiator von Oikocredit, stimmte ihr zu. »Afrikanische Musik, das hätte der kühlen Feier gut getan», sagte er. Er erinnerte sich zurück, wie der Schriftsteller immer wieder eine «Geldgeschichte» beigesteuert hat, um den Aufbau der neuen Organisation für Mikrokredite im Süden zu unterstützen. «Daraus ist ein Buch geworden», erzählte Rechsteiner.

Eines von mehr als fünfzig Büchern, die Imfeld in seinem Leben geschrieben hat. Sein letztes kommt in diesen Tagen postum in den Buchhandel und hat wieder Afrika zum Thema. «Africa City» erscheint im Rotpunktverlag und befasst sich mit der visionären Idee das «urban gardening» in die verstädterten Slums von Afrika zu bringen.

Auch auf dem Hügel oberhalb des Missionshauses, da wo nun Al Imfeld seine letzte Ruhestätte gefunden hat, ist Afrika präsent. Viele seiner hier beerdigten Mitbrüder sind auf Mission in Zimbabwe gestorben, aber auch in China oder Taiwan. Schon von der Internationalität der Missionsgesellschaft SMB her wundert es: Warum wurde Al Imfeld internationales Wirken bei der Traueransprache des Generalvikars des Ordens übergangen?

Unverheilte Wunden des Ordens
Eines war deutlich spürbar: Auch im Tode haben sich einige der noch lebenden Missionsbrüder mit dem verlorenen Sohn nicht versöhnen können. Schon die aufgehängten Trauerzirkulare in den Korridoren des Missionshauses kündeten davon. Da war zu lesen: «Dass er es mit den autobiografischen Details nicht so genau nahm, störte vor allem jene, die selber davon betroffen waren oder sich von ihm herausgefordert fühlten. Als unorthodox Denkender legte er sich nicht nur bei einigen seiner Mitbrüder an.»

Und diesen Refrain nahm dann der SMB-Generalvikar auch in seiner Trauerrede auf. «Fehler und Ungereimtheiten» seines Mitbruders erwähnte er, über das manchmal «Verstörende und Zerstörende», «das Stossende und Abstossende» berichtete er. Man wolle Al Imfeld nicht zu den Altären erheben und ihn heilig sprechen. In den Heiligenstand wollte sicher auch Al Imfeld nie befördert werden. Er hatte zu seinen Lebzeiten moderne Helden wie Albert Schweitzer oder Martin Luther King kennengelernt und beide auf seine Art auch etwas entzaubert. Al Imfeld hat dazu einmal im Zürcher Kirchenboten geschrieben. «Kein Prophet war ein totaler Heiliger, sondern immer nur ein Vorbild oder auch ein Vorsprecher. Und wenn Gott Mensch wird, dann muss auch Jesus in diese Fussstapfen treten.»

Als sich nach der Eucharistiefeier die mehr als 200-köpfige Trauergemeinde bedächtig zum Friedhofshügel hoch bewegte, waren viele noch irritiert. Aus dem Geflüster der Trauernden war da zu vernehmen: Unbarmherzig sei das gewesen. Da seien wohl alte Wunden selbst über den Tod des unorthodoxen Al Imfeld nicht verheilt. Und ein Trauergast erklärte, dass er, ob diesem Strafgericht über einen Toten, die Kirche beinahe demonstrativ verlassen hätte.

Aber es passt zu Al Imfeld, dass er noch als Toter provoziert. Und es passt zu ihm, dass er bewusst entschieden hat, trotz aller Konflikte dem Orden treu zu bleiben, wenn er auch nicht im «Missionarsaltersheim», wie er einmal sagte, dem Tod entgegen dämmern wollte.

Der Zweifler – ein Leben lang
Von der katholischen Kirche, die ihn beinahe exkommuniziert hat, trennte er sich ebenfalls nicht. Trotz seiner intensiven theologischen Suchbewegungen in den 1960er Jahren, als er sich der Gott-ist-tot-Theologie von Dorothee Sölle anschloss, trotz seinem lebenslangen Ringen in Glaubensfragen, kam es nie zum totalen Bruch. Selbst als die gestrengen Professoren der vatikanischen Universität Gregoriana in Rom seine Doktorarbeit ablehnten, kehrte er der Kirche nicht den Rücken.

«Afrika im Gedicht»
Das kirchlich verordnete Scheitern des Ketzers verwandelte sich zum biographischen Glücksfall. In den USA fand der berühmte evangelische Theologe Paul Tillich zu Beginn der 60-er Jahre an Imfelds Thesen mehr Gefallen. Zudem lernte er in den USA Martin Luther King kennen und studierte Journalismus. Gute Voraussetzung um 1967 mit Poesie und Publizistik im Reisegepäck nach Zimbabwe, damals noch unter dem Kolonialnamen Rhodesien auf der Landkarte eingezeichnet, zu fliegen. Dort an der Missionsschule von Zimbabwe, brachte er den Schülern nicht nur Schreib- und Lesefähigkeiten bei, sondern legte den Grundstein für eine ganze Generation von Journalistinnen und Lyrikern.

In seiner Gedichtanthologie «Afrika im Gedicht», 1200 Gramm schwer, finden sich denn auch einige Poeten, die von Al Imfeld inspiriert ihre ersten Schreibversuche machten. Beispielsweise Chenjerai Hove, der wie viele andere Dichter dem Simbabwe Mugabes den Rücken kehren musste. Aber wieder zurück zur Abdankung, bei der das Thema Afrika durch die vielen Trauergäste von Hilfswerken dennoch präsent war. Ein weit gespanntes Spektrum von Menschen traf man da an: agnostische Kulturschaffende, Drittweltbewegte, Hilfswerkvertreter, Publizisten, Journalisten und Zürcher Freunde. Sie widerspiegeln den Facettenreichtum der Interessen des Verstorbenen. Hier wurde nochmals klar: Al Imfeld war ein grosser Netzwerker, der an seinem Küchentisch in der Konradstrasse 23 in Zürich bis zum Schluss die unterschiedlichsten Milieus miteinander ins Gespräch brachte.

Delf Bucher / reformiert. / 23. Februar 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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