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«Journalismus ist im besten Fall die Suche nach Wahrheit»

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07.04.2017
Medien sollten wahr berichten. Doch wie geht das? Und was ist «wahr»? Lis Borner, Chefredaktorin von Radio SRF, im Gespräch über Lügenpresse, Selektion und Quoten. An der Tagung Fokus Ethik in Thun hielt sie dazu ein Impulsreferat.

Frau Borner, Ihr Referat an der Tagung Fokus Ethik hat den Titel «Wie viel Information erträgt/braucht der Mensch?» Warum ist das eine Frage der Ethik?
Zum Titel ist zu sagen: Ich habe ihn nicht selbst gewählt, so lautete der Auftrag. Ich finde die Frage nicht komplett falsch, aber auch nicht ideal.
Doch zum Inhalt: In einer Demokratie brauchen Bürgerinnen und Bürger verlässliche Informationen. Wir Medien steuern diesen Informationsfluss mit: Wir wählen aus, ordnen ein, hinterfragen. Die Regeln, nach denen wir dies tun, basieren auf Grundwerten wie Demokratie, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Respekt und Fairness.

Wer kontrolliert denn, dass Ihr Betrieb diese Grundwerte beachtet?
Als Chefredaktorin trage zunächst ich die Verantwortung. Die publizistischen Leitlinien von SRF und die Konzession bilden die Leitplanken. Das Publikum und natürlich Politikerinnen und Politiker können beanstanden, wenn sie diese Leitplanken übertreten sehen. Geschieht das, geht die Beschwerde zuerst an den Ombudsmann Roger Blum. Als nächste Instanz kommt die Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) zum Zug, und zuletzt entscheidet in Streitfällen das Bundesgericht.

Wer kann die Frage Ihres Referat-Titels überhaupt allgemeingültig beantworten?
Ich kann einfach unseren Zugang nennen. Wir suchen «Relevanz»: Was ist wichtig für das Verständnis unserer komplexen Welt? Was braucht das Publikum, um als mündige Bürgerinnen und Bürger fundierte Entscheidungen zu fällen? Das sind unsere Leitgedanken, abgeleitet aus unseren Konzessionsauftrag.

Wie viel Wahrheit brauchen Medienkonsumierende?
Keine und keiner besitzt die Wahrheit. Informationsjournalismus ist im besten Fall die Suche danach. Unser Publikum soll sich eine fundierte Meinung bilden können. Das ist das Entscheidende: Journalismus – so wie wir ihn verstehen – ist der Sauerstoff der Demokratie. Die Qualität des demokratischen Entscheidungsprozesses hängt wesentlich von der Qualität der Information ab, die den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zu steht.

«Schreiben, was ist», lautet die Maxime des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein. Wie können Medien das überhaupt erfüllen? Allein die Selektion verunmöglicht ja das Vorhaben.
Die Suche nach der Wahrheit ist immer eine Annäherung. Korrekte Fakten sind die Grundlage, ebenso kritische Fragen, Reflexion und Einordnung. Für die Glaubwürdigkeit ist zudem Transparenz gegenüber dem Publikum wichtig: Wer ist die Quelle einer News? Was ist abgestütztes Wissen, was Interpretation?

Wie entscheidet Radio SRF, was es bringt?
Wir lassen uns von der Frage leiten: Was ist wichtig? Ist es neu? Hat es politische, wirtschaftliche kulturelle Bedeutung? Wie ist die Stellung der Beteiligten? Wie nahe ist das Thema zur Alltagswelt des Publikums?  Wenn wir unsicher sind, lassen wir uns von unseren publizistischen Leitlinien helfen. Diese Leitlinien beschreiben das journalistische Selbstverständnis unseres Unternehmens.

Eine allfällige Ausrichtung nach den Quoten torpediert das Vorhaben, die Wahrheit zu berichten. Was meinen Sie zu dieser Behauptung?
Wenn einzig Klicks oder Quoten den journalistischen Auswahlprozess bestimmen, ist das nicht gut für eine Demokratie. So funktionieren «Jöh»-Themen wie Katzenvideos und Empörungsthemen. Es braucht aber auch kühle, gelassene Analysen. Bei einer ausschliesslichen Ausrichtung auf Quoten würden diese wegfallen.
Wenn der Publikumsgeschmack aber dazu genützt wird, ein Thema attraktiver zu erzählen, ist das ok. Einfach den Konzessionsauftrag zu erfüllen ohne Publikumsnähe ginge auch nicht. Die Bedürfnisse des Publikums sind für uns deshalb Ansporn, die wichtigen Geschichten besser zu erzählen.

Was machen Sie, wenn Sie die «publizistischen Leitlinien» von SRF nicht umgesetzt sehen?
Wir besprechen diese Fälle intensiv. Im Tagesfeedback, aber auch in grösseren publizistischen Runden. Unsere Lehren und Erkenntnisse aus diesen Fällen publizieren wir einem internen Newsletter. Und der «Leitlinien-Kurs» gehört zur SRF-Grundausbildung.

Wenn Sie auf Ihr eigenes Wirken als Journalistin blicken: Haben Sie mal medienunethisch gehandelt?
Ich mache – wie alle Menschen – manchmal Fehler, grobe Verstösse gegen unsere Leilinien gab's aber keine. Ich bin mir unserer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit bewusst.

Woran liegt es, dass in letzter Zeit verbreitet Vorwürfe von Lügen- und Lückenpresse aufkamen?
Die Welt ist komplizert und manchmal schwer auszuhalten. Im Netz kursieren zum Teil absurde «Fakten». Gleichgesinnte bestätigen sich gegenseitig darin. Und wenn man seine Meinung nicht in den traditionellen Medien wiederfindet: Lügenpresse!
Selbstkritisch müssen wir Medien uns aber auch fragen, ob wir manchmal von dem, was die Leute wirklich beschäftigt, zu weit weg sind. Das Beispiel USA zeigt dies beispielsweise eindrücklich.

Wie können die Medien den Vorwürfen entgegenhalten?
Mit Qualitätsjournalismus! Wir müssen korrekt, sachgerecht, vielfältig berichten. Neugierig sein, kritische Fragen stellen, Stellvertretung sein für die mündige Bürgerin, den mündigen Bürger.

Marius Schären / reformiert. / 7. April 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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