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Verpassen die Schweizer Reformierten den Anschluss?

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06.05.2017
In Deutschland wird auf sozialen Medien wie Twitter gerade engagiert debattiert, wie die digitale Präsenz der Kirche aussehen soll. Bis jetzt wurde diese Online-Diskussion in der reformierten Schweiz kaum wahrgenommen. Dabei gäbe es hierzulande viel Nachholbedarf, tönt es aus den eigenen Reihen.

Es war ein flammendes Plädoyer, das Journalist Hannes Leitlein in seinem Artikel «Digitalisierung: Und wie wir wandern im finsteren Digital» hielt. «Die evangelische Kirche scheint zu betäubt von Austrittszahlen und Sparmassnahmen zu sein, um die Revolution, die um sie herum geschieht, zu bemerken und sich ihrer zu bedienen. Anstatt die neuen Möglichkeiten in ihren Dienst zu stellen, herrschen Berührungsängste, Unverständnis und Desinteresse», schreibt Leitlein in seinem Essay in der deutschen Zeitung Die Zeit und forderte auf: «Es wäre höchste Zeit, die digitale Gegenwart theologisch zu deuten, in ihr das Evangelium zu erkunden, zu teilen, zu leben.»

Der Artikel schlug in sozialen Medien ein wie eine Bombe. Schnell wurde auf Twitter der Hashtag #digitalekirche zum Trend. Theologinnen und Theologen, Medienpfarrer, Evangelische Jugendverbände und ganz vorne Jonas Bedford-Strohm, der Sohn des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Heinrich Bedford-Strohm, diskutierten online engagiert über die digitale Zukunft der Kirche.

Digitale Revolution verschlafen?
Und in der Schweiz? Wer auf Twitter die Suche nach dem Hashtag #digitalekirche auf die Eidgenossenschaft eingrenzt, der findet: Fast nichts. Offenbar ging die in Deutschland so heiss geführte Diskussion hierzulande an der Kirche vorbei. Aus Desinteresse? «Die Reformierten in der Schweiz haben die digitale Revolution verschlafen», sagt der reformierte Pfarrer Frank Lorenz, der seine sozialen Medienkanäle äusserst aktiv pflegt. Zwar habe fast jede Kirchgemeinde eine eigene Website. Diese würden sie aber wie einen Schaukasten pflegen. Mal kommt ein Veranstaltungshinweis drauf, das sei es dann aber auch schon gewesen. «Gerade im Internet ist die Interaktion wichtig. Es geht nicht darum, einfach seine Botschaft zu senden», sagt Lorenz.

Doch vor dieser digitalen Interaktion würden sich noch immer zu viele in der Kirche scheuen. «Bedenkenträger», nennt Lorenz sie. Als er vor kurzem Podiumsgast zum Thema Internet und Kirche war, sei so ein Bedenkenträger aufgestanden und habe gefragt, ob die Kirche die Sau namens Internet auch noch durchs Dorf treiben müsse?  «Als ob wir eine Wahl hätten», sagt Lorenz.

Er bezweifelt aber, dass bei alteingesessenen Pfarrerinnen und Pfarrern die Bereitschaft besteht, sich aktiver digital zu engagieren.: «Viele haben gut schweizerisch Angst, ihren Kopf zu weit aus dem Fenster rauszustrecken.» Deshalb setzt er seine Hoffnungen in die junge Theologinnen- und Theologengeneration.  «Wir brauchen Rockerinnen und Rocker, die sich pointiert äussern im Netz. Die Twitter als Kanzel nutzen.»

Pfarrerin mit über 5’000 Freunden
Eine solche junge Theologin, die auf vielen Online-Kanälen sehr aktiv unterwegs ist, ist die Pfarrerin Sibylle Forrer. Die 37-Jährige hat mittlerweile  über 5’000 Facebook-Freunde. Auf ihrem Profil postet sie nicht nur berufliche, sondern auch persönliche Inhalte, wie ihr Profilbild beweist, auf dem sie mit ihrem Hund zu sehen ist. «Ich mache keine klare Trennung zwischen Beruflichem und Privatem. So bin ich als Person spürbar», sagt Forrer. Das sei in ihren Augen wichtig, wenn es um die Onlinepräsenz  geht. «Die Leute wollen auch online wissen, mit welcher Person sie es zu  tun haben. So kann ein persönlicher Dialog entstehen.»

Auch wenn Forrer es begrüsst, dass Pfarrerinnen und Pfarrer auf sozialen Kanälen präsent sind, von einer digitalen Residenzpflicht, wie sie unter anderem in Deutschland diskutiert wird, hält sie nichts. «Jemanden zu verdonnern,  finde ich falsch. Das Engagement im Netz muss schon gewollt sein. Nur so ist der Online-Auftritt auch authentisch.» Vielmehr würde es Forrer begrüssen, wenn bei  der Pfarrausbildung «Social Media» stärker thematisiert wird.

Keine einheitliche Policy
Dass jede Pfarrerin und jeder Pfarrer einen eigenen Social-Media-Auftritt haben sollte, davon ist auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) nicht überzeugt.  «Pfarrerinnen und Pfarrer haben eine Vielfalt von Aufgaben, nicht nur in der virtuellen Welt. Ich frage mich, ob alle alles machen sollen oder ob es nicht sinnvoller ist, Schwerpunkte zu setzen, wo jede, jeder für sich eine Begabung sieht», sagt Anne Durrer, Beauftragte Kommunikation des SEK. Auch fehle noch eine einheitliche Policy für Anwendung und Nutzung der verschiedenen Social Media-Kanäle. «Die Menge und die Inhalte der kirchlichen Kanäle sind für die Nutzer sehr unübersichtlich», sagt Durrer. Deshalb laufe seit drei Jahren ein grosses nationales Projekt, dessen Ziel es sei, die Kommunikation der reformierten Kirchen zu bündeln, so dass «die» reformierte Kirche sichtbarer und wirksamer kommuniziere.

Doch wie sieht es mit dem eigenen Auftritt des SEK in den sozialen Medien aus? Ein Blick auf die Twitter- und Facebook-Accounts des Kirchenbundes zeigt: Hier werden nur sporadisch Einträge publiziert. Durrer gibt sich selbstkritisch: «Der SEK hat einen Auftritt, der nicht so ausgeprägt ist, wie wir es wünschen würden. Das hat vor allem mit Ressourcen zu tun, so dass wir das Potential von Social Media zu wenig ausschöpfen.» Doch im Hintergrund würde man sich intensiv Gedanken machen, um die Kommunikation über Social Media aktiver zu gestalten.

Der Essay von Hannes Leitlein in der «Zeit»

Andreas Bättig / ref.ch / 5. Mai 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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