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«Wir werden nie hinter den Big Bang blicken»

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29.09.2017
Schon als Kind war der Astronom Bruno Binggeli vom Himmel fasziniert. Für ihn sind die alttestamentlichen Schöpfungsberichte kein unwissenschaftlicher Humbug.

Bruno Binggeli sitzt in seinem spartanisch eingerichteten Büro, vor sich den Computerbildschirm, hinter sich die Bücherwand, die unter der schweren Last ächzt. Nur die Sternkarten und die Aufnahmen von Galaxien verraten, dass der Mann mit der runden Brille in fernste Welten geblickt hat, wie kaum andere. Bruno Binggeli ist Astronom am Departement für Physik der Universität Basel.

Schon von Klein auf hat ihn der Weltraum fasziniert. Als Kind bastelte er Fernrohre, schlich sich nachts hinaus und beobachtete die Sterne. Im Rückblick sagt er: «Da erlebte ich religiöse Gefühle. Der Himmel ist ein Bild für die Transzendenz, für das Andere», erklärt der Naturwissenschaftler. Wenn man den Himmel betrachte, spüre man dies. Der Basler Physiker und Astronom hat später mit den modernsten Teleskopen in Kalifornien und Chile gearbeitet.

Haben die biblischen Schöpfungsberichte für ihn eine Bedeutung? «Fachlich nicht», sagt Bruno Binggeli. «Aber für jemanden, der in der westlichen Welt aufgewachsen ist, schwingen diese Erzählungen mit.» Anfänglich lehnt der Physiker diese Mythen als unwissenschaftlichen Humbug ab. Später fängt Binggeli an, Fragen zu stellen. Und kommt zu frappierenden Feststellungen. Etwa, dass man die Theorie des Urknalls mit den Schöpfungsberichten in Einklang bringen könne.

1931 sprach der belgische Jesuit und Physiker Georg Lemaître erstmals von einem Anfangszustand bei der Entstehung von Materie und Raumzeit und wurde als Vater des Big Bang von Teilen der Wissenschaft verspottet. Heute wird Lemaîtres Theorie von den meisten Astronomen anerkannt. Zwischen dem Urknall und dem Schöpfungsbericht sieht Bruno Binggeli Analogien. Beide berichten von einem Ursprung und einer Einheit, die sich im Laufe der Zeit ausdifferenziert. Selbst einzelne Elemente wie das Wort, das Licht und die spätere Entstehung der Gestirne seien analog.

Trotzdem warnt Binggeli davor, Glaube und Naturwissenschaften zu vermischen. Beide hätten verschiedene Sichten: Die Naturwissenschaft erfasse die Welt von aussen über die Sinnesorgane, der Glaube von innen.Bruno Binggeli ist überzeugt, dass es dem Menschen nie gelingen wird, den Urknall zu begreifen und hinter den Ursprung des Universums zu blicken. «Auch wenn wir immer näher kommen, sind wir in der Endlichkeit gefangen. Wir sind nie schneller als die Lichtgeschwindigkeit.»

Die letzten Geheimnisse würden nie entschlüsselt, denn ihre Welt sei jenseits von Geist und Materie. «Wir haben als Naturwissenschafter, Philosophen und Theologen unsere Grenzen, hinter die wir nicht schauen können.» Deshalb sollte die Kirche nicht voreilig die Astronomie umarmen. «Big Bang ist kein Beweis für die biblische Schöpfungsgeschichte.» All diese Einsichten haben den Astronomen nicht gläubiger gemacht, aber respektvoller. Die Wissenschafter sieht Binggeli gerne in der Tradition der Pilgerschaft, die sich voll «Gwunder» und Respekt der Materie nähern sollte.

Heute würden die Wissenschaften wie ein «gesellschaftlich organisierter Eroberungsfeldzug» über die Natur herfallen und sie unter dem Druck der Wirtschaft ausbeuten. Doch die beiden wichtigsten physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, hätten das einseitig materialistische Weltbild gründlich zertrümmert und damit Raum geschaffen für Vorstellungen, die für das religiöse Bedürfnis des Menschen zumindest relevant seien, sagt Bruno Binggeli und zitiert Werner Heisenberg: «Der erste Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, doch auf dem Grund des Bechers wartet Gott.»

28.10.2017 | Tilmann Zuber

Zur Person: Bruno Binggeli ist Physiker und Astronom am ­Departement für Physik der Universität Basel.

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