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«Wir wollen das friedenstiftende Potential der Religionen nutzen»

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27.03.2018
Plötzlich wird die Weltkarte von der Diplomatie nach religionspolitischen Konflikten abgesucht. Silke Lechner, im deutschen Aussenministerium in der Stabstelle «Friedensverantwortung der Religionen» tätig, erklärt das neu erwachte Interesse der Aussenpolitik an den Religionen.

Friedensverantwortung der Religionen heisst die neue Stabstelle in der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes. Hat das nicht im weltanschaulich neutralen Deutschland für heftige Kritik gesorgt?
Wir haben bisher vor allem positive Rückmeldungen erfahren. Natürlich könnte man gerade in Berlin den Eindruck eines sich verstärkenden Trends hin zu einer säkularen Gesellschaft gewinnen. Weltweit betrachtet, ist es aber unbestritten: Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist religiös gebunden.

Trotzdem wird ein Auswärtiges Amt nicht hinter dem Grundsatz zurückgehen, dass die religiöse Freiheit aller die diplomatische Richtschnur sein sollte?
Unbedingt. Für uns gehört die Religionsfreiheit in den vorrangigen Kanon der Menschenrechte. Da möchte ich noch hinzufügen: Unsere Beschäftigung mit Religion unterscheidet sich gar nicht so gross von dem, wie auch innenpolitisch das Verhältnis zwischen Staat und Religion geregelt ist: Staatliche Institutionen begegnen in Deutschland den Religionen mit weltanschaulicher Neutralität, die Kooperationen ermöglicht.

Religiöse Friedensverantwortung ist ein grosses Wort. Wie kann denn Religion Frieden bringen und nicht – wie oft unterstellt – Krieg?
Die Betonung liegt auf dem Wort «Verantwortung». Es geht darum, das Potential der Religionsgemeinschaften zu erkennen und zu nutzen. Als positives Beispiel möchte ich Mosambik anführen. Dort hat die katholisch-geprägte Organisation Sant'Egidio Friedensarbeit geleistet und in den 90er Jahren dafür gesorgt, dass ein Friedensabkommen geschlossen wurde. Die Organisation ist nun auch  in der Zentralafrikanischen Republik und in vielen anderen Ländern aktiv. Im aktuellen kolumbianischen Friedensprozess hat die katholische Kirche ebenfalls eine bedeutende Rolle gespielt.

Und mit Ihrer Stabsstelle helfen Sie religiösen Akteuren, die sich der Friedensförderung verschrieben haben?
Unser Arbeitsstab ist in der Abteilung für Kultur angesiedelt. Uns geht es darum, insgesamt das Thema der Verantwortung zu behandeln. So haben wir im vergangenen Jahr eine Konferenz mit hundert hochrangigen Vertretern der abrahamitischen Religionen aus 53 Ländern mit verschiedenen Workshops organisiert und dabei auch mit Hilfe des Mediationsteams der Abteilung für Stabilisierung und Krisenprävention im Auswärtigen Amt ein Mediationstraining für Religionsvertreter aus 15 Ländern angeboten. Dieses Jahr werden wir eine Konferenz ausrichten, bei der asiatische Religionsvertreter eingeladen sind.

Und Konflikte wie die der Rohingyas in Myanmar oder die Verwerfungen zwischen Tamilen und Singhalesen in Sri Lanka werden dort auch zur Sprache kommen?
Vertreter aus diesen Ländern werden teilnehmen. Unser Grundsatz ist es, Persönlichkeiten einzuladen, die sich dem Thema der Verantwortung für den Frieden verschrieben haben. Wir wollen das konstruktive Potential von Religionen nutzen.

Oft sind religiös geprägte Gruppen Akteure der Zivilgesellschaft. Die klassische Diplomatie beruht doch mehr darauf, dass man sich auf Regierungsebene austauscht.
Genau deswegen ist der Arbeitsstab ja auch in der Kulturabteilung angesiedelt. Im letzten Jahrzehnt hat sich der Aktionsradius der Diplomatie erheblich erweitert. Gerade in der auswärtigen Kulturpolitik geht es uns um eine Aussenpolitik der Zivilgesellschaften jenseits der klassischen Diplomatie.  Für uns zählen die religiösen Gruppen als nichtstaatliche Organisationen zur Zivilgesellschaft, die ja innerhalb der komplexen Weltlage immer wichtiger werden. Unser Ziel ist es, pragmatisch mit ausgewählten Religionsvertretern zusammenzuarbeiten, die für ihre Friedensverantwortung einstehen.

Versucht die Stabstelle auch, bei den deutschen Diplomaten das Bewusstsein zu wecken, der religiösen Dimension bei Konflikten und gesellschaftlichen Prozessen eine grössere Beachtung zu schenken?
Das ist langfristig unser Ziel. Bereits jetzt haben wir uns in der Ausbildung der Nachwuchs-Diplomaten eingebracht. Von unseren Botschaftern wird auch erwartet, dass sie sich mit den religiösen Führern eines Landes vernetzen.

Ist das deutsche Aussenministerium eigentlich ein Pionier, um den religiösen Faktor stärker in der Diplomatie zu gewichten?
Pionier in Europa war die Schweiz, die schon länger die Stelle «Religion und Konflikt» eingerichtet hat. Auch die Vereinten Nationen nehmen sich nun dieses Themas verstärkt an. Insofern ist das Auswärtige Amt nicht Pionier, aber international sicher ein Trendsetter.

Delf Bucher, reformiert.info, 27. März 2018

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