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Änneli, Felix, Ueli und Vreneli suchen ein Zuhause

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03.05.2018
Die markanten Gestalten aus den Romanen des Emmentaler Dichterpfarrers Jeremias Gotthelf sind nicht nur auf Papier und im Film verewigt. Der Bronzekünstler Freddy Air Röthlisberger hat ihnen ebenfalls ein Denkmal gesetzt. Nun sucht er für die 14 Figurengruppen eine dauernde Bleibe im Emmental.

Barthli der Korber. Der Armenvogt. Das Erdbeeri-Mareili. Änneli und Felix. Hansjoggeli und Bäbi. D’ Suurchabisgränne. Vreneli. Und, natürlich: Ueli der Knecht beziehungweise der Pächter. Sie alle und einige mehr geben sich auf der Matte zwischen Kirche und dem alten Pfarrhaus ein Stelldichein, die bekannten Figuren aus dem schriftstellerischen Werk des Lützelflüher Dichterpfarrers Jeremias Gotthelf beziehungsweise Albert Bitzius (1797–1854).

Aus dem bäuerlichen Leben von anno dazumal scheinen all diese Gestalten mitten in die Gegenwart zu treten, obwohl sie sich nicht bewegen können, denn sie sind in Bronze gegossen, fast lebensgross und charaktervoll. Es scheint, als hätte sie der Geist der gotthelfschen Erzählkunst persönlich aus einem Lehmklumpen geknetet, in einem urtümlichen Schöpfungsakt zügig zum Leben geformt und alsdann in Metall verewigt, ohne dass sie in der bronzenen Erstarrung etwas von ihrer Beweglichkeit verloren hätten. Im Zentrum der 23 Figuren beziehungsweise 14 Figurengruppen sitzt die berüchtigte «Schwarze Spinne» in ihrem Netz, eine Skulptur mit einem alten Computer als Leib und Armierungseisen als Beine, ein Symbol des allgegenwärtig lauernden Todes und damit der Vergänglichkeit des Lebens.

Bewegtes Leben
Manch einer verlässt diesen besonderen Skulpturenpark mit einem Lächeln auf den Lippen: Die Bronzefiguren bilden einen gemüt- und lebensvollen Kontrast zum eher vergeistigten Programm im benachbarten Gotthelfzentrum. Ihr Erschaffer ist der in Zürich lebende Künstler Freddy Air Röthlisberger (81). In den Figuren steckt viel Gotthelf, aber mindestens ebenso viel Röthlisberger, dessen eigene Lebensgeschichte ebenfalls das Zeug zum literarischen Stoff hat. Geboren und aufgewachsen im bernischen Kallnach als Bub eines Fabrikarbeiters und einer Bauerntochter, wurde er schon von Kindsbeinen an mit den Sorgen und Nöten einfacher Leute vertraut – umso mehr, als er eine Zeit lang sogar verdingt wurde.

In der Schule fiel er durch Intelligenz auf, aber auch durch Desinteresse; seine Sekundarschulkarriere scheiterte mangels Motivation, ebenso seine Lehre als Koch. Keinen rechten Schwung entwickelte er in der Folge auch beim Schleifen von Zifferblättern in der Uhrenfabrik. Und doch – einem Vorgesetzten fiel auf, dass der junge Mann sehr wohl über Potenzial verfügte. Er motivierte ihn zu einer Lehre als Maschinenzeichner, was sich als Volltreffer erwies: Schon nach einem Jahr behauptete sich der Stift als Jahrgangsbester und hängte auch noch gleich die weiterführende Ausbildung zum Konstrukteur in Bern an. Darauf folgten berufliche Stationen in den Bereichen Textilmaschinen, Seilbahnstatik und Flugzeugbau, Letzteres bei den Flugzeugwerken Pilatus ins Stans.

«Irgendwie füllte mich der Beruf aber nicht wirklich aus», blickt Röthlisberger zurück. Als er in den frühen 1960er-Jahren im Schweizer Heimatwerk eine Maskenausstellung sah, regte sich seine künstlerische Ader, die wohl nur darauf gewartet hatte, bei einer solchen Gelegenheit aus ihrem Schlummer geweckt zu werden. Röthlisberger wehte es wie eine Offenbarung an: «Das mache ich auch – ich mache Holzmasken.»

Bei den Kunstschnitzern in Afrika
2000 Stück sollten es in der Folge werden, und ihr Erschaffer verdiente daran ganz gut. Und weil er ehrgeizig und lernwillig war, ging er nach Kamerun, um sich von den dortigen traditionellen Maskenschnitzern Ratschläge und Inspiration zu holen. Während des zweijährigen Aufenthalts kam er auch mit dem afrikanischen Gelbguss in Berührung, einem metallurgischen Verfahren, das ihn dermassen faszinierte, dass er es ebenfalls damit versuchen wollte. «Das kriegst du so nie hin», sagte ihm ein befreundeter Volkskundler. Röthlisberger erinnert sich mit feinem Lächeln: «Ich kriegte es doch hin, aber dafür brauchte ich zwölf Jahre.»

So kam es, dass Freddy Air Röthlisberger seine Berufung zum Bildhauer, Skulpteur und Giesser laufend verfeinerte und ausbaute. Zu Kunst und Technik gesellte sich die inhaltliche Philosophie – und Gotthelf. Auf diesen heute von vielen Leuten doch eher als sperrig empfundenen Literaten kam er über eine Gesamtausgabe aus der Zeit um 1900. Als er zu lesen begann und schon nach den ersten paar Seiten auf ausgedehnte Dialektpassagen stiess, sprang der Funke über. Röthlisberger erkannte: «Das ist mir sehr vertraut, denn es ist die Sprache meines Grossvaters.»

Der Dichter als Freund
Gotthelf blieb fortan Röthlisbergers literarischer Begleiter, wurde fast zu einer Art geistigem Freund. Umso mehr, als der Leser zunehmend die Aktualität der Themen erkannte, die der Dichter in seinen Erzählungen aufgriff. Unter dem Eindruck der Lektüre begann Röthlisberger auch, seine Familiengeschichte zu erforschen. Das führte ihn tief ins Emmental, unter anderem nach Langnau, wo seine Familie ursprünglich beheimatet war und noch heute Bürgerrecht geniesst. In ihm erwachte die Lust, Gotthelfs Figuren bildlich darzustellen, so, wie er sie bei der Lektüre vor dem inneren Auge sah: als Leute mit Ecken und Kanten, mitten im Leben stehend, voll von Liebe und Hoffnung, bescheiden und arbeitsam, aber je nach Charakter auch misstrauisch, desillusioniert und verletzlich – und immer individuell und charaktervoll-ländlich. «Leute von hier, mit typisch emmentalischen Physiognomien», wie der Künstler erklärt.

Das figürliche Gotthelf-Panoptikum auf der Wiese in Lützelflüh ist hier allerdings nicht mehr lange zu sehen. Aufgrund einer Erbschaft ist das Landstück in andere Hände übergegangen; die neue Besitzerin will es bis Mitte Jahr geräumt haben. Was den Schöpfer der Skulpturen schmerzt, denn: «Sie gehören hierher nach Lützelflüh, wo ihr geistiger Vater Gotthelf gewirkt hat.» Im Prinzip könnte er auch einen Einzelverkauf anstreben und die Figuren nach und nach in Privatbesitz übergehen lassen, aber: «Gerade die Figuren aus der Gotthelf-Serie sind weniger Kaufobjekte als Schauobjekte; sie gehören zusammen.» Zudem seien die Bronzen in einer Grösse modelliert, die selten in einen Garten passe, und auch die Preise lägen eher ausserhalb eines durchschnittlichen Budgets.

Werke sollen zugänglich bleiben
Diese «Ganzsachen» habe er, sagt Röthlisberger, mit grossem Arbeits- und Geldaufwand aus innerem Antrieb und Liebe zur Sache gemacht. Ihm sei es nun vorab ein Anliegen, für die Gotthelf-Figuren eine dauernde – und vor allem auch passende – Bleibe zu finden. Eine adäquate Entlöhnung sei ihm dabei weniger wichtig. Ihm gehe er vorab darum, dass die Werke einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich blieben.

Wer weiss: Vielleicht kommt in diese Angelegenheit schon bald Bewegung. Unlängst wurde der Künstler von einem Unternehmer und Politiker kontaktiert, der vorschlug, die Skulpturen auf einem Wiesenstück vor dem Schloss Burgdorf dauerhaft zu präsentieren. Eine Idee, die gar nicht so abwegig ist, denn die Stadt im Emmental hat sehr wohl auch ihren Gotthelf-Bezug: Es war der Burgdorfer Verleger Christian Langlois, der Gotthelfs ersten Roman herausgab. Kommt hinzu, dass das Schloss ein Publikumsmagnet ist und es mit der neuen Jugendherberge und dem erneuerten Museumsbetrieb bald noch mehr sein wird; an Besuchern dürfte es Annebäbi, Hansli, Ueli und Vreneli auf der Schlosswiese also kaum fehlen. Falls sich nicht doch noch eine unerwartete Wende ergibt und die Figuren in Lützelflüh verbleiben können.

Hans Herrmann, reformiert.info, 2. Mai 2018

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