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Heimat – eine Utopie

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25.06.2018
Am 1. August wird sie wieder beschworen: Die Heimat. Doch, was ist sie? Ein Gefühl der Geborgenheit? Der Blick auf die Vergangenheit? Eine Utopie?

Heimat hat wieder Hochkonjunktur. Das ist am 1. August nicht einfach logisch, sondern Ausdruck einer Blickrichtung: Die Schweiz schaut wieder vermehrt zurück und sehnt sich nach einer intakteren Welt.

In Bälde stehen sie nach dem Auftritt der Trachtengruppe und vor dem Feuerwerk wieder im ganzen Land auf improvisierten Podien und Podesten und reden zu Frauen und Mannen: die 1.-August-Rednerinnen und -redner. Die einen werden die Ärmel hochgekrempelt haben und sich kämpferisch geben, die anderen die Aufgabe eher trocken ausführen. So oder so wird ein Wort dabei besonders häufig fallen: Das Wort «Heimat».

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Google bietet die Möglichkeit an, die Häufigkeit von Suchanfragen zu untersuchen. Die Suchkurve, die zu Heimat gehört, erinnert an eine Börsenkurve. In der Schweiz wurde im Dezember 2004 besonders häufig nach Heimat gesucht. Ihren Tiefpunkt erreichte die Suchhäufigkeit im Juli 2007. Seither nimmt die Suche nach Heimat wieder stark zu und ist heute wieder auf dem Niveau von 2004 angelangt.

Dabei ist höchst unklar, was Heimat ist. Erklärungsversuche pflegen mit «für mich ist» zu beginnen. Das zeigt, dass da etwas mit einem selbst in Beziehung gebracht wird. Ausser natürlich bei der Zigarettenmarke Heimat, deren Glimmstängel laut Eigenwerbung nichts als Schweizer Tabak und reines Schweizer Wasser enthalten. Hier gibt es Heimat in zwei Varianten: süsslich mild als Heimat hell und erdig authentisch als Heimat dunkel. Wenn es so einfach wäre.

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Am 1. August werden die einen den Verlust der Heimat beklagen, die anderen die Heimat beschwören. Gemeint ist in beiden Fällen etwas, das in der Vergangenheit liegt. Denn Heimat hat in unseren Ohren etwas Behagliches: Da komme ich her, da gehöre ich dazu, ohne selbst viel unternehmen zu müssen. 

Man wählt sich die Heimat nicht aus, sagte Max Frisch in seiner berühmten Rede «Die Schweiz als Heimat?». Man wählt sich Heimat nicht aus, weil Heimat die Umgebung ist, in die man hineingewachsen ist, mit der man verwachsen ist.

Das heisst aber natürlich auch, dass die Schweiz nicht Heimat sein kann, sondern nur das Quartier, allenfalls die Gemeinde, die Region, eine Handvoll Menschen, ein Dialekt, vielleicht ein bestimmtes Gericht, ein Geruch. Das, was sich mit Schweizerfahnen bekränzt als Heimat ausgibt, bedient sich nur dieses Wohlgefühls, das uns zu Hause befällt. Denn das ist wohl das wesentliche: Heimat als Gefühl, dazuzugehören.

Genau dieses Gefühl ist in Gefahr, wenn die Welt sich verändert. Die simplen Veränderungen sind die sichtbaren: Ein Hochhaus da, wo vorher die alte Beiz stand, ein Designerhotel anstelle der Bank. Und natürlich fremde Menschen. Überhaupt das Fremde. Es ist das Gegenteil dieser Heimat als Wohlgefühl. 

Wenn die Heimat plötzlich fremd wird, macht das vielen Angst. Max Frisch sagt: Der primitive Ausdruck solcher Angst, man könnte im eigenen Nest der Fremde sein, ist die Xenophobie, die so gern mit Patriotismus verwechselt wird. Allerdings sind es nicht die Fremden, die Zuwanderer, welche die Schweiz in den letzten Jahren so stark verändert haben. Es waren die Digitalisierung und damit die dramatischen Veränderungen der Arbeitswelt, der Aufstieg der Mittelschicht (also das Geld) und die Internationalisierung des Handels. Verglichen mit den Auswirkungen dieser drei Faktoren ist die Veränderung, die eine Moschee im Quartier bringt, geradezu lächerlich.

Wie hat die Schweiz darauf reagiert? Sie hat den Bau von Minaretten verboten. Zum Schutz der Heimat.

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Die Schweiz kann als Ganzes nicht Heimat sein. Es gibt nicht die Schweizer Landschaft, nicht einmal die Schweizer Sprache, die Kultur oder die Religion. Wenn es etwas gibt, das die Schweiz ausmacht, dann sind es ihre Institutionen, ihre Abläufe, schwierige Aspekte wie Föderalismus und Subsidiaritätsprinzip, unsere Freiheiten. Doch diese Dinge eignen sich nicht für emotionale Höhenflüge. Ein Gemeinderat so wenig wie ein Gericht und die Freiheit schon gar nicht. Denn die ist gerade da wesentlich, wo einer aus der Reihe tanzt. Nein, das, was die Schweiz wirklich ausmacht, sind rationale Aspekte. Und Heimat ist ein Gefühl, kein Gedanke.

Ist Heimat wirklich nur ein Gefühl der Behaglichkeit, auf das eine Schweizerin, ein Schweizer ein Recht hat? Ist Heimat etwas, das wir einfordern dürfen?

Ich meine nein. Heimat darf nicht einfach Holprinzip sein, ein emotionaler Selbstbedienungsladen, in dem jede Störung vermieden wird, auf dass des Schweizers Seligkeit sich einstelle. Heimat sollte umgekehrt als Verpflichtung verstanden werden.

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Statt dass ich Heimat (also: Behaglichkeit) einfordere, sollte ich versuchen, meinen Mitmenschen so viel Heimat wie möglich zu vermitteln. Heimat als Bringschuld, gewissermassen. Diese Form der Heimat wäre nicht vergangenheitsorientiert, sondern zukunftsgerichtet. Heimat ist das, worauf wir hinarbeiten, weil wir uns alle wohlfühlen wollen. Heimat wäre dann nicht abhängig vom Pass, sondern von Toleranz und Zuneigung. Heimat wäre nicht primär eine egoistische Dimension, auf die ich Anrecht habe, es wäre eine Verpflichtung, auf die ich mich für andere einlasse. 

Es wäre Heimat nicht aus der Sicht des Gastes, der am Schluss eine Rechnung zahlt und darauf pochen kann, dass seine Heimat ihren Franken wert ist. Es wäre Heimat aus der Sicht des Gastgebers, der andern Heimat beschert. Nur dass wir alle Gastgeber wären, egal ob Schweizer oder Syrer, Zürcher oder Berner, Baselstädter oder Baselbieter.

Heimat also als Utopie.

Ich kann mir Heimat nur so vorstellen. Dann werden wir Heimat als Zukunft verstehen und zwar nicht primär als eigene Zukunft, sondern (auch) als Zukunft der anderen.

Das wäre für mich Heimat hell.

Matthias Zehnder, 25.6.2018, Kirchenbote

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