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«Kofi Annan liebte die Schweiz und hielt zu Genf»

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11.09.2018
Kofi Annan verkörperte als Generalsekretär der UNO das Gewissen der Welt. Seit den 1960er Jahren war er mit Jean Ziegler befreundet. Der Soziologe erinnert sich zurück und weiss auch, warum die Basler Mission eine Rolle im Leben des grossen Ghanesen spielte.

Als Sie von der Todesnachricht von  Kofi Annan, dem UN-Generalsekretär von 1997 bis 2006, hörten, was war Ihre erste Reaktion?
Ich fühlte einen grenzenlosen Schmerz und eine tiefe Trauer.

Mit Annan hat Sie eine besondere Freundschaft verbunden. Wie kam es dazu?
Unsere Wege kreuzten sich schon in den frühen Sechziger Jahren. Kofi Annan begann bei uns am Institut an der Universität Genf zu studieren. Es war eine beschwingte Zeit. Wir waren eine Vierer-Clique. Auch der später in Bagdad ermordete Menschenrechtskommissar Sergio Vieira de Mello war dabei und dann der früh verstorbene Soziologe Roy Preiswerk. Bei ihm Zuhause gab es fast jeden Samstag einen Tanzabend. Und dort hat Kofi getanzt wie ein Gott und ich als Berner natürlich wie ein plumper Bär. Unglaubliche Eleganz und Lebensfreude strahlte Kofi aus.

Roy Preiswerk, das ist eine besondere Geschichte, die auch mit der Basler Mission zusammenhängt.
Ja, der Grossvater von Roy Preiswerk hat während des Ersten Weltkriegs die Handelsgesellschaft der Basler Mission in Ghana übernommen. Damals unterstellten die Engländer den Missionaren, in der britischen Kolonie Goldküste besonders deutschfreundlich zu sein. So kam Preiswerk zum Zug, der bereits bei der Mission im Stiftungsrat war. Kofi Annans Vater arbeitete bei ihm im Kakaogeschäft.

Wie bewertete Kofi Annan die Geschäfte der Missionshandelsgesellschaft?
Er kommt darauf in seiner Autobiographie zu sprechen und hat sie für Ihren menschlichen Umgang sehr gelobt. Die Erfahrung mit der Basler Mission und mit Preiswerk senior haben sicher bei Kofi den Grundstein gelegt für seine Liebe zur Schweiz.

Es ist wirklich erstaunlich, dass er in der Schweiz seinen Alterswohnsitz genommen hat.
Für ihn war es klar: Nicht in den USA, sondern in Genf wollte er sich niederlassen. Hier hat er auch seine Stiftung angesiedelt. Kofi Annan hat sich immer stark gemacht für den europäischen UNO-Hauptsitz in Genf, der immer grösserer Konkurrenz von Bonn, Wien und Kopenhagen ausgesetzt war.

Und hat er sich auch bei der Schweizer Abstimmung für den UNO-Beitritt engagiert?
2002, also beim dritten Anlauf, um über einen UNO-Beitritt abzustimmen, da ging es wieder ganz knapp her, was das Ständemehr betraf. Und Kofi Annan, der natürlich als Generalsekretär sich nicht direkt in den Abstimmungskampf einmischen durfte, hat trotzdem mit seiner Präsenz in der Schweiz vor dem Urnengang gewirkt. In einem Brief an den Bundesrat betonte er, dass die Schweizer Neutralität durch einen etwaigen UNO-Beitritt nicht in Frage gestellt werde. Immer wieder hat er auch öffentlich beteuert: «Wir brauchen die Schweiz!»

Grösser noch sind seine globalen Verdienste. Was würden Sie besonders herausstreichen?
Nach dem Versagen der UNO-Blauhelme in Ruanda und in der bosnischen Sicherheitszone Srebrenica hat er sich geschworen, gegen die Straflosigkeit auf der Welt zu kämpfen. Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass der internationale Strafgerichtshof eingerichtet wurde. Am wichtigsten war aber, dass er sich nicht von den Grossmächten manipulieren liess. Er hat George W. Bush die Stirn gezeigt und den Irakkrieg zuerst verhindern wollen. Später verweigerte er diesem Krieg die völkerrechtliche Weihe und die US-Koalition musste dort ohne UNO-Mandat antreten.

Die persönliche Tragik dabei ist, dass ihr und Kofi Annas Freund Sergio de Mello den Tod in Bagdad gefunden hat.
Das ist eine Tragödie. Denn Kofi Annan wollte nach dem Krieg helfen mit der neutralen UNO den Irak zu stabilisieren und sendete Sergio dorthin, der schon in anderen Missionen wie der Befriedung von Ost-Timor Grosses geleistet hatte.

Annan, auf die unabhängige UNO bedacht, wollte eine Weltorganisation ohne Vetorecht der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs.
Der Kofi-Annan-Plan – das ist sein politisches Vermächtnis. Er wollte, dass verschiedene Ländergruppen im Sicherheitsrat rotieren. Noch wichtiger: Ein Vetorecht sollte es überhaupt nicht mehr geben, wenn ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegt. Da kommt dann der Auftrag zum Tragen, Menschenrechte universell zu schützen. Mit dem Ende seiner Amtszeit im Jahr 2006 ist dieser Vorschlag in den tiefsten Schubladen im UNO Gebäude von New York verschwunden.

Und heute ist er chancenlos.
Nein! Eine ganze Reihe von Diplomaten in Europa, selbst in den USA, schauen heute, wie man den Kofi-Annan-Plan umsetzen könnte. Dies hängt mit dem Syrien-Krieg zusammen. Dschihadisten töten in den Metropolen der Vetomächte – in Washington, Moskau, London und Paris. Kein Staat kann diese pathologischen Mörder kontrollieren. Wenn einer seinen eigenen Tod in Kauf nimmt, ist man machtlos. Und dann der Druck der Kriegsflüchtlinge, die in Europa eine moralische Krise ausgelöst haben. Die Vetomächte erleben nun in ihren eigenen Grenzen die negativen Konsequenzen des bestialischen, islamistischen Terrors, der nur durch die multilaterale Diplomatie, das heisst die UNO, beendet werden kann. Das könnte zu einem Umdenken führen. Aber dazu braucht es auch den Druck der Zivilgesellschaft.

Delf Bucher, reformiert.info, 11. September 2018

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