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Die dunkle Seite der Reformation: Gewalt gegen Täufer und Hexen

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04.10.2018
Zuviel Lobhudelei für Zwingli & Co beim Reigen des Reformationsjubiläums? Das Buch und die Ausstellung «Schatten der Reformation» möchte einen Gegenakzent setzen, wie der Herausgeber und Kurator Peter Niederhäuser erklärt.

Ein Buch und eine Ausstellung mit dem Titel «Schatten der Reformation» legt eines nahe: Hier wird mit den Umbrüchen im 16. Jahrhundert abgerechnet.
Schatten klingt tatsächlich sehr negativ. Zwielicht oder Zwischentöne wäre vielleicht der bessere Begriff. Unser Ziel: Das ergänzen, was innerhalb der Reformationsfeierlichkeiten eher ausgespart geblieben ist. So stehen im Zentrum des Buches Menschen, die uns zeigen, dass nicht alle begeistert waren von den Umbrüchen der Reformation.

Welche Personen sind das zum Beispiel?
In unserem Buch kommen die Nonnen relativ prominent vor. Man sieht bei den Frauenklöstern, dass es keineswegs so stromlinienförmig vor sich ging, wie es oft behauptet wird. Viele Klosterfrauen wollten keineswegs heiraten, sondern ihr klösterliches Leben weiter führen. Sie wehrten sich gegen die Auflösung ihrer Klöster. Wenn sie es sich finanziell leisten konnten, führten sie manchmal in Wohngemeinschaften so etwas wie ein monastisches Leben weiter.

Der Umgang mit den Nonnen wirft ein Schlaglicht auch auf den teilweise autoritären Vollzug von Reformation. Profitierten aber die Frauen als Ganzes indessen nicht von den Ehegerichten, die damals eingerichtet wurden.
Auf dem Papier hört sich das ganz gut an. Nun können sich Frauen scheiden. Allen ideellen Bildern von der Ehe zum Trotz ist die Ehe jedoch vor allem ein Bund, der auf materiellen Regelungen basiert. Welche Geschiedene konnte ohne Einkommen des Mannes überleben? Deshalb haben sich die Ehegerichte oft wegen der einseitigen wirtschaftlichen Lage gegen eine Scheidung ausgesprochen.

Also aus Sicht der Frauen hat die Reformation wenig gebracht?
Licht steht Schatten gegenüber. Mich interessieren vor allem die Zwischentöne. Ich will mich jetzt hier nicht ausschliesslich auf das Negative festlegen. Aber die Verfolgung von Hexen kann man beispielsweise nicht anders als negativ bewerten.

Hexen – ist das nicht eher das Problem der katholischen Inquisition?
Das ist kein konfessionell gebundenes Phänomen. Die Hexenverfolgung wird von der Geistlichkeit beider Konfessionen gedeckt. Dabei ist Zürich sicher keine Hochburg der Hexenverfolgung, aber es gibt hier wesentlich mehr Frauen, die verfolgt wurden, als in den Quellen greifbar sind. Man darf es nicht nur als ein religiöses Phänomen verstehen, sondern Faktoren wie die Klimaverschlechterung, dörflicher Streit und knappe Ressourcen spielen hinein. Spannend und erschreckend zugleich bleibt aber die Rolle, welche die Pfarrer oft darin spielen. Das gilt auch für die Verfolgung der Täufer.

Die Verfolgung der Täufer ist schrecklich. Aber sind die Verfolgungen, selbst noch die vollzogenen Todesurteile, vom damaligen Zeithorizont her nicht realpolitisch unvermeidlich?
Aus heutiger Sicht kann man doch nicht ernsthaft behaupten, dass Todesstrafe eine Lösung ist. Es gibt Alternativen zu einer so grausamen Verfolgungspolitik. Auch andere Personen sind aus religiösen Gründen zum Tode verurteilt worden. Ob sie hingerichtet wurden, ist hingegen eine andere Frage.

Aber all dies war der Realpolitik des 16. Jahrhunderts geschuldet.
Das ganz sicher. Die Täufer stellten das Gewaltmonopol des Staates infrage. Für die Zürcher Obrigkeit ist das grösste Problem, dass es Unordnung gibt. Das sieht man immer wieder. Wer die Ordnung stört, wird verfolgt. Und in Zürich kommt noch hinzu, dass die politische Obrigkeit mit der Geistlichkeit verwandtschaftlich verbandelt ist. Man hat das geistliche Monopol von Pfarrern und das politische Monopol von den Patrizierfamilien.

Das war aber  anfangs noch nicht so.  Leo Jud, der Mitstreiter von Zwingli, kommt zum Beispiel aus dem Elsass, Heinrich Bullinger aus Bremgarten.
Das stimmt. Es gab eine Übergangsperiode, wo Leute auch von aussen hinzugekommen sind. Als die eigene Ausbildung in Zürich  etabliert war, kamen die Zürcher Eliten immer mehr zum Zug. Und die Synode als Disziplinierungsinstrument für die Pfarrer sorgte dafür, dass sie dem Idealbild der Obrigkeit entsprechen.

Die Synode ist also gar nicht die Vorschule der Demokratie?
Ganz im Gegenteil. Sie ist das Organ einer sehr autoritären Kirche, die mit diesem Instrument diszipliniert und eine neue Generation von linienförmlichen Pfarrern heranwachsen lässt. Da geht es dem Zürcher Rat letztendlich um Kontrolle und natürlich auch um Pfründe. Deshalb legt man auch Wert darauf, dass es Zürcher Pfarrer sind, oft Verwandte, die von diesen Pfründen profitieren können.

Delf Bucher, kirchenbote-online, 4. Oktober 2018

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