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«Die Wahrheit über die Apokalypse ist dem Menschen zumutbar»

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20.05.2019
Tag für Tag reihen sich die Meldungen von schmelzenden Gletschern und steigenden Weltmeeren, schrumpfender Biodiversität und zunehmender Verwüstung aneinander. Für Gregor Taxacher sind dies Zeichen der Endzeit, die nun auch endlich die Kirche theologisch mit dem biblischen Begriff der Apokalypse benennen sollte.

Herr Taxacher, wenn Sie nächste Woche nach Zürich kommen – fliegen Sie dann oder fahren Sie mit dem Zug?
Ich komme mit dem Zug.

Bei den unvorstellbaren Mengen, die die Mobilität an CO2-Emissionen verursacht, ist das nur ein bescheidener individueller Beitrag.
Rein rechnerisch bringt das nichts und der Einwand sticht: Es braucht vor allem politische und wirtschaftlich geänderte Rahmenbedingungen, um den Klimawandel abzumildern. In einer Demokratie werden aber Veränderungsprozesse nur angestossen, wenn sich dafür ein Bewusstsein ausbildet. Das Menschen sich Gedanken machen, auch ein schlechtes Gewissen, kann zum Schluss in einen politischen Prozess einmünden. Man merkt dies jetzt bei den Schülerprotesten.

Ihre Botschaft ist, dass der Klimawandel in seiner ganzen Drastik, in seiner apokalyptischen Dimension auch von den Kirchen den Menschen zu Bewusstsein gebracht werden soll. Apokalypse ist indes für Umweltpädagogen ein Schreckenswort.
Wir dürfen nicht immer gleich beschwichtigen: «Es ist wohl schlimm, aber wir schaffen es noch.» Dem entgegne ich mit einem Wort von Ingeborg Bachmann: «Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.» Ich nehme deshalb auch das Wort Apokalypse in den Mund und sage sogar: Die Apokalypse ist jetzt. Das heisst: Wir sind schon jetzt in einer Situation, in der wir, wenn wir nichts ändern, die Endzeit der Menschheit, in der Art wie sie jetzt existiert, herbeiführen werden. Die Apokalypse besteht also darin, dass Endzeit bereits jetzt ist. Und damit auch die Zeit der Entscheidung da ist.

Sie wollen also uns die Illusion nehmen, irgendwie kriegen wir das schon hin?
Diese Illusion ist weit verbreitet. Kürzlich wurde auf einem FDP-Parteitag unter der Maxime «Verbote bringen nichts» am Konzept des alten Fortschrittsglaubens weiter gestrickt. Ein Redner forderte das emissionsfreie Flugzeug – sozusagen das Perpetuum Mobile, das Ökologie und unbegrenzte Mobilität ermöglicht. So wird immer noch argumentiert bis weit in die Grünen hinein: Mit einer etwas klügeren und ökologisch ausgerichteten Technik könnten wir die ökologische Katastrophe abwenden, ohne unsere Lebens- und Wirtschaftsweise ändern zu müssen.

Apokalyptischen Klartext sollen nun Ihrer Meinung nach die Kirchen reden. Aber die meiden wie die Umweltpädagogen das Skandalwort Apokalypse.
Das hat verständliche Gründe. Die modernen Kirchen wollen sich lossagen von ihrer Vergangenheit, in der die Kirche mit grossen Drohbotschaften der Hölle aufgetreten ist. Die Apokalypse steht unter Verdacht, das frühere Instrument einer herrschenden, erziehenden Kirche zu sein.

Und warum sollen die Kirchenleute trotzdem offensiv ihr biblisch angelegtes apokalyptisches Erbe vertreten?
Sie können das Wort wieder zu ihrer alten Bedeutung zurückführen. In Literatur und Film wird die Apokalypse nur als Schrecken des Weltendes gezeigt. Biblisch ist aber die Apokalypse ein Wendepunkt. Es ist die Schnittstelle auf der Zeitachse, an der sich aus der Katastrophe heraus etwas Neues ergeben kann.

Aber der Wendepunkt ist biblisch immer mit dem Gericht verbunden. Für viele zeitgenössischen Christen eine Zumutung?
Dass ich in dieser Debatte wieder das Gericht als Kategorie einführen will, hat weniger mit dem «Jüngsten Gericht» zu tun. Mir geht es darum, die Folgen unseres Handelns zu bedenken. Für uns gilt die gleiche Frage, die sich schon die Propheten gestellt haben: Was sind unsere Götzen, denen wir dienen?

Aber der Götzendienst steckt in allen Poren unseres gesellschaftlichen Seins. Ich kann ihm nicht entkommen, wenn ich mich nicht zu einem Eremitendasein entschliesse.
Stimmt. Man kann ja fast nichts kaufen, ohne in diesen Schuldzusammenhängen, die wir produzieren, verstrickt zu sein. Hier sollten wir den heute in der kirchlichen Verkündigung tabuisierten Begriff der Sünde wieder neu formulieren. Schon Paulus sprach von der Versklavungsmacht der Sünde und wir finden oft im Neuen Testament die Rede von den Mächten und Gewalten. In Grunde wird da vorweggenommen, was wir in einer entmythologisierenden Sprache Systemzwänge nennen.

Also ein modernes Modell der Erbsünde?
Das problematische Wort Erbsünde – es geht ja nicht um Vererbung – deutet darauf hin, dass die Bibel schon weiss, dass die Sünde einem Menschen nicht nur individuell anrechenbar ist und im Umkehrschluss auch von einem Einzelnen nicht moralisch überwunden werden kann.

Zum Schluss: Hat Sie der Klimaprotest der Jungen überrascht?
Die Jungen auf der Strasse, das war für mich schon ein Hoffnungszeichen. Sie haben den Zeitaspekt des Apokalyptischen erkannt, gingen auf die Barrikaden mit der Botschaft, dass sie keine Zeit mehr hätten. Sie sagen laut: Wir wollen nicht das auslöffeln, was ihr Erwachsene angerichtet habt. Das ist eine Botschaft, die auf den ersten Blick recht unpolitisch wirkt, aber die Kraft hat, die Politik wirklich in Bredouille zu bringen. Denn die Träger dieser Botschaft sind nicht einem bestimmten politischen Lager zuzuordnen.

Sie sind also nicht der hoffnungslose Apokalyptiker?
Ich bin nicht ohne Hoffnung. Aber ich glaube nicht an einen evolutionären Weg, der Mensch und Natur versöhnen kann. Dafür ist es jetzt viel zu spät. Jetzt sollten wir uns bereit machen und radikale Wege finden, wie wir uns von den Systemzwängen der Wachstumsgesellschaft befreien können.

Interview: Delf Bucher, reformiert.info, 20. Mai 2019

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