Vernehmlassung «Ehe für alle»: Der Kirchenbund tut sich schwer
Homosexuelle Paare sollen in der Schweiz zivilrechtlich heiraten dürfen. Die Rechtskommission des Nationalrats hat vor einigen Wochen eine entsprechende Vorlage zur «Ehe für alle» in die Vernehmlassung gegeben. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK beantwortete diese unklar und war nicht in der Lage, eine Parole zu fassen. In seiner Antwort zur Vernehmlassung warf er in der Juni-Abgeordnetenversammlung Fragen auf, ohne sie zu beantworten, und musste eine Fristverlängerung beantragen. Die 26 Kantonalkirchen scheinen in der Frage gespalten. Die Abgeordnetenversammlung wies das Papier in Winterthur zurück.
Gottfried Locher, Präsident des SEK, sprach sich in einem Interview im «Tagesanzeiger» für die Homo-Ehe aus: «Auch Homosexualität entspricht Gottes Schöpfungswillen. Es gibt keinen Spielraum: Man kann nicht lavieren und sagen, das könne man verschieden sehen.» Es sei die Eigenart der Reformierten, dass sie nie abschliessend definiert hätten, was Ehe sei: «Der Landeskirche steht es gut an, den gesellschaftlichen Konsens ernst zu nehmen», so Locher weiter: «Die Ehe ist nicht Teil des christlichen Bekenntnisses, sie gehört nicht zu den Grundfragen des Glaubens.» Locher räumt ein, dass er nur für sich selber sprechen könne und der Antwort der Abgeordnetenversammlung nicht vorgreifen wolle.
Während die Zürcher Landeskirche zur «Ehe für alle» Ja sagt, befinden sich «andere Mitgliedkirchen mitten im Klärungsprozess», wie der SEK schreibt. Starke Zurückhaltung stellt Locher vor allem bei Reformierten auf dem Land fest: «Vor allem im Zürcher und im Berner Oberland gibt es grossen Widerstand.» Der SEK-Präsident möchte verhindern, dass pietistische und konservative Reformierte Inseln bilden: «Mir ist die demokratische Meinungsbildung wichtig, nur so lassen sich Ängste abbauen», sagt er im Interview: «Wir sind noch im Prozess der Urteilsbildung. Das muss sehr sorgfältig geschehen, denn das Thema hat Potenzial, Kirchen zu spalten.»
Laut Locher käme ein Nein der Abgeordnetenversammlung im November jedoch «einem Eklat» gleich: «Die reformierte Kirche soll nicht moralisieren, sondern das Evangelium weitertragen. Gemeinsam können wir die traditionelle Familie stärken, ohne gleichgeschlechtliche Paare zu diskriminieren.»
Entscheide sorgfältig treffen
Sabine Brändlin, als SEK-Ratsmitglied zuständig für die «Ehe für alle», hat Verständnis für das zögerliche Verhalten des SEK: «Als reformierte Kirchen stellen sich uns Fragen, die das kirchliche Leben direkt betreffen. Es geht um die Frage der kirchlichen Trauung für alle. Diese Entscheide sollen sorgfältig getroffen werden», sagt sie. «Die Zuständigkeit dafür liegt klar bei den Kantonalkirchen.»
29.08.2019 / Adriana Schneider
Interview mit SEK-Ratsmitglied Sabine Brändlin
Was sagt die Bibel zur Homosexualität?
Bibelstellen zur Homosexualität:
Im Gegensatz zu Themen wie der sozialen Gerechtigkeit oder dem Reich Gottes greift die Bibel die Homosexualität nur an wenigen Stellen auf.
Gleichgeschlechtliche Paare gibt es in der Bibel nicht, selbst wenn die enge Beziehung zwischen David und Jonathan so gedeutet werden könnte. Die Bibel jedenfalls nimmt daran keinen Anstoss. Und keine Stelle berichtet von der Verurteilung von Homosexuellen. Wenn die Bibel über Homosexualität spricht, dann in Zusammenhang mit Praktiken. Das Alte Testament erzählt die Geschichte, wie die Leute von Sodom sündig vor dem Herrn waren und Lots Haus umstellten und forderten, er solle die Männer herausgeben, so dass sie mit ihnen verkehren können. (1.Mose 13.13)
Für die meisten Exegeten ist klar, dass hier die Vergewaltigung von Männern angeprangert wird, nicht die Homosexualität. Bei 3. Mose 18.22 heisst es: «Bei einem Mann sollst du nicht liegen, wie man bei einer Frau liegt, ein Gräuel ist das.» Der Alttestamentler Konrad Schmid erklärte gegenüber SRF: «In Gesetzestexten wie im 3. Buch Mose Leviticus 18 oder 20 werden gleichgeschlechtliche Sexualkontakte klar abgelehnt, da sie nicht der Fortpflanzung dienen. Die abwertenden Aussagen in der Bibel über die Homosexualität könnten heute nur dann als bindend empfunden werden, wenn man die Bibel buchstabengläubig und fundamentalistisch liest. Dagegen hat sich aber schon Paulus ausgesprochen: «Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig» (2. Korinther 3,6). Im Neuen Testament poltert Paulus in seinen Briefen gegen verheiratete Männer und Frauen, die mit dem gleichen Geschlecht Sex haben. (Röm,1,26) Für einige Neutestamentler klagt hier Paulus nicht die Homosexualität an, sondern den Ehebruch. In der Antike basierte die Ehe nicht auf einer Liebesheirat, deshalb waren Fremdgehen und Tempelprostitution weitverbreitet.
Ist Homosexualität biblisch verboten? Angesichts der wenigen Hinweise und der Aufforderung Jesu, nicht den ersten Stein zu werfen und über andere zu urteilen, ist die Frage sekundär. Die Botschaft von Jesus war die Gottes- und Nächstenliebe und die gilt für alle Beziehungen.
Tilmann Zuber