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Wem gehört mein Körper?

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26.09.2019
Die Organspende-Initiative -fordert, dass jeder, der nicht ausdrücklich Nein sagt, als Spender infrage kommt. Ethiker des Kirchenbundes befürchten, dass in Zukunft das Recht auf den eigenen Körper eingeschränkt werde.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Im letzten Jahr erhielten 479 Personen in der Schweiz ein Organ von -einem Verstorbenen. Für etliche Menschen reichte es nicht, sie hatten vergeblich auf ein Spenderorgan gewartet.
In der Schweiz und in Deutschland gibt es im Gegensatz zum europäischen Umfeld zu wenig potenzielle -Organspender. Grund dafür ist die -Gesetzeslage, die festschreibt, dass man sein Einverständnis zur Organentnahme klar geäussert haben muss. Wenn kein Ausweis oder keine Verfügung vorliegen, entscheiden die Angehörigen, die oftmals überfordert sind. Denn wer redet schon gerne zu Lebzeiten über seinen Tod und darüber, was mit seiner Leber, Lunge oder Niere geschehen soll?

Systemwechsel
Das will die Organspende-Initiative ändern. Die Initianten streben einen Systemwechsel an. Zukünftig soll jeder in der Schweiz im Todesfall zum Spender werden, ausser er habe dies zu Lebzeiten abgelehnt. Für Bundesrat Alain Berset ist dieser Vorstoss zu radikal. Der Bundesrat hat einen Gegenvorschlag lanciert, die «erweiterte Widerspruchslösung». Konkret bedeutet dies: Wenn kein klarer Wille vorliegt, sollen die Ärzte diesen zusammen mit den Angehörigen herausfinden. Der Bundesrat hofft so auf mehr Organspender. Bis jetzt lehnten gemäss Bundesrat 60 Prozent der Angehörigen dies ab, im europäischen Mittel sind dies 30 Prozent.
Die beiden Vorschläge scheinen auf den ersten Blick logisch: Wer tot ist, braucht seine Organe nicht länger und kann dank Spitzenmedizin Leben retten. Doch so einfach ist es nicht: Die Nationale Ethikkommission äussert ethische Bedenken, vor allem im Hinblick auf das Recht auf den eigenen Körper und darauf, sich seiner Meinung enthalten zu dürfen. 
«Sich entscheiden zu müssen, schränkt die grundsätzliche Freiheit, die eigene Meinung zu äussern oder zu verschweigen, empfindlich ein», hält der Ethiker des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, Frank Mathwig, im Positionspapier fest.Und Mathwig weiter: Die Widerspruchslösung beruhe auf der Annahme, dass die meisten ihre Organe spenden würden, dies aber nicht dokumentiert haben. Diese Unterstellung widerspräche fundamental den in der Medizin zentralen Selbstbestimmungsrechten: «Auf der Schwelle des Todes scheinen diese Schutzrechte zu bröckeln.» Es ist «als gehe der Körper in den Besitz der Gemeinschaft über, sobald man stirbt». Auch aus der Solidarität zu den Betroffenen dürfe man nicht schlies-sen, dass man sich gegenseitig Organe schuldet. Ansonsten stelle man das «liberale Freiheitsverständnis auf den Kopf», so Mathwig.

Vermehrte Aufklärung
der Bevölkerung
Die Nationale Ethikkommission fordert statt einer Widerspruchslösung stärkere  Aufklärung, sodass sich mehr Menschen freiwillig ins Spenderregister eintragen. Dem kann der Ehtiker Alberto Bondolfi nicht folgen. Der emeritierte Professor arbeitete lange an der Theologischen Fakultät Zürich. Bondolfi befürwortet im «Tagesanzeiger», dass niemandem gegen seinen Willen die Organe entnommen werden dürfen. 
Das vom Bundesrat vorgeschlagene Verzeichnis der Nein-Sager sei einfacher zu organisieren als eines der potenziellen Spender. Deshalb begrüsst Bondolfi die Widerspruchslösung. «Wenn es trotzdem noch Unwissende gibt, muss man sagen: ‹Wer sich nicht mit dieser Frage beschäftigt, kann sich nicht über missachtete Persönlichkeitsrechte beklage.»

Tilmann Zuber / pd

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