Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Back to Church

min
21.10.2019
Die Zahl der Gottesdienst-Besucher ist alarmierend tief. Einige Kirchgemeinden jedoch trotzen diesem Trend. Dank innovativen Ideen ziehen sie immer mehr Besucher an.

Sonntag, 10.30 Uhr in Horw, einer Vorstadtgemeinde Luzerns. Die Strassen sind leer. Nur in der reformierten Kirche auf dem Hügel herrscht Betriebsamkeit. Pfarrer Jonas Oesch, 37, prüft noch einmal das Mikrofon, dann stellt er sich an den Eingang und begrüsst die zahlreichen Besucher, die hereinströmen. 

Es ist Zeit für den 11-vor-11-Gottesdienst, mit moderner Liturgie und poppiger Musik, mit Theater oder Interviews oder wie dieses Mal mit Gospel-Musik. 45 Sänger in bunten T-Shirts stellen sich in Position. Heute gibt es noch ein paar freie Plätze. Klar, die Sonne scheint. Nicht selten jedoch ist die Kirche bis auf den letzten der 200 Stühle besetzt. Danach, kündigt Oesch an, gäbe es Mittagessen, bei den Katholiken nebenan. Die vielen Besucher sprengen mittlerweile die Kapazitätsgrenzen. Wie das geht?  

«Wir orientieren uns an den Bedürfnissen und Fragen der Besucher», sagt Oesch. «Zudem bieten wir Freiwilligen Raum, ihre Interessen und Begabungen einzubringen.» Um die 300 Personen, rund ein Sechstel aller Mitglieder, würden sich aktiv im Gemeindeleben einbringen, sie betreuen Kinder, dekorieren, musizieren, kochen oder moderieren. Angeboten wird heute monatlich ein klassischer, ein Familien- und ein moderner Gottesdienst. «Mit diesem Angebot sprechen wir einen Grossteil unserer Mitglieder an», sagt Oesch. Diese kämen zwar nicht jeden Sonntag, dafür regelmäs-sig. Was auf kein Interesse stösst, lässt man sterben, wie die Gottesdienste im Sommer oder die Hörbuch-Gruppe. 

Schaffung eines Profils. Fokussierung. Spezialisierung. Schlagwörter, die man immer häufiger hört. Alles nur Zeitgeist und Marketing-Floskeln, wie die einen sagen, die von der tieferen Bedeutung des Gottesdienstes ablenken? Oder gar nötig für das Überleben der gesamten Kirche? Betrachtet man die Statistiken, steht es nicht so gut um den sonntäglichen Gottesdienst. Eine Studie von NCSS im Rahmen des Schweizerischen Nationalfonds zeigte, dass durchschnittlich rund drei Prozent der Protestanten in der Schweiz den Gottesdienst besuchen. Bei den Katholiken sind es vier Prozent, den Juden zehn, den Muslimen 18 Prozent. Eine offene Wunde in der protestantischen Kirche. Salz hinein streute unlängst Erik Flügge, seines Zeichens Berater für Kirchenvorstände und Politiker in Deutschland, in seinem im Frühjahr erschienen Buch «nicht heulen, sondern handeln». «Der Gottesdienst ist tot, er wird nicht mehr lebendig», schrieb er und plädiert dafür, den Gottesdienst gleich ganz abzuschaffen. Denn, die Generation, die den Gottesdienst in ihren Lebensrhythmus integriert hatte, sterbe weg. Plätze werden leer, weil ihre Besitzer gestorben sind oder altersbedingt niemand mehr nachrücke. 

Einfach und doch geistreich

«Provokation und Schlagworte allein nützen niemandem», sagt Ralph Kunz, Professor für praktische Theologie in Zürich, der sich mit innovativen Gottesdienstmodellen beschäftigt. Er plädiert dafür, dass die Kirche «marktfähiger wird». «Wir brauchen heute Gottesdienste, die eine einfache Sprache sprechen und doch geistreich sind. Die musikalisch -ansprechen, aber nicht billig sind. Gottesdienste, die den Leib berühren, aber nicht übergriffig sind.» Von zentraler Bedeutung für ihn ist die Beteiligung der Kirchgänger. Es sollten Begegnungen stattfinden, ganz normale Menschen ins Zentrum gesetzt werden, die den Gottesdienst moderieren, das jährliche Weihnachtsmusical betreuen oder den Apéro danach. Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert spricht aus, was viele denken. «Früher wollte jede Kirche es allen recht machen und setzte auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.» Das Resultat sei, niemand fühle sich richtig wohl. Kundert wünscht sich verschiedene Kirchen – traditionelle, moderne, liberale, konservative, jugendliche, altehrwürdige. 

Kulturkirche mit Theater

Immer mehr folgen diesem Konzept. Wie etwa die Citykirche Matthäus in Luzern. «Wir haben bewusst das Profil einer Kulturkirche gewählt», sagt Pfarrerin Eva Brandin. Vier-  bis fünfmal im Jahr gibt es Auftritte des Luzern Theaters in der Kirche. Seit 2009 mit anhaltendem Erfolg. In die gleiche Kerbe schlägt Dominik Reifler, Pfarrer der Gellertkirche -Basel, die als Erste erfolgreich begonnen hatte, verschiedene Gottesdienste anzubieten. «Eine Kirche, die alles macht, funktioniert heute nur mehr selten.» Kritik über zu viel Show in seinen Gottesdiensten, kontert er: «Wir haben nicht mit der Tradition aufgehört. Die Verpackung ist anders, der Inhalt der gleiche.»

Das Angebot sukzessive erweitert wurde auch in Langenbruck BL. Dort gibt es mittlerweile einen Biker-, einen Wander-, einen Hubertus- und einen Scheunen-Gottesdienst. Das Ziel dahinter: «Menschen zusammenzubringen», so Pfarrer Thorsten Amling. Mit dem Nebeneffekt, dass «selbst Menschen, die keine kirchliche Bindung haben, aufgrund der sozialen Kontakte an diese Gottesdienste kommen und auf diese Weise in die Kirche und die Liturgie hineinwachsen.» Im Kontrast dazu das Fraumünster in Zürich. Dort ist man erfolgreich mit klassisch reformierter Theologie, «ohne Mätzchen und Betulichkeiten (wie Steine anfassen)», wie es Pfarrer -Niklaus Peter nennt. Das Ziel ist immer das gleiche. Nur der Weg ist ein anderer. 

Carmen Schirm-Gasser, Kirchenbote, 21.10.2019

 

 

Unsere Empfehlungen

Mitglied sein oder nicht

Mitglied sein oder nicht

Die digitale Grossgruppen-konferenz der Reformierten Kirche des Kantons Luzern hat sich innert kurzer Zeit zu einem nationalen Event etabliert. Über 200 Teilnehmende aus allen Regionen und Bereichen nahmen teil und diskutierten über das Mitgliedsein.
Den Wandel meistern

Den Wandel meistern

Am 30. April stimmen die Mitglieder der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt über die Totalrevision der Kirchenverfassung ab. Für deren Annahme braucht es eine Zweidrittelmehrheit.