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Zeit gegen Wohnen

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15.11.2019
Spazieren, kochen oder jassen: Sechs Studierende wohnen neu im Altersheim und verdienen sich durch gemeinnützige Einsätze einen grossen Teil ihrer Miete. Ein Altersforscher sagt, was er davon hält.

Das Leben in der Stadt Zürich ist teuer. An einer bevorzugten Lage wie dem Klusplatz zu wohnen, in der Nähe der Universität, bleibt gerade für Studierende oft ein Traum. Die beiden Alterszentren Klus und Rebwies (Zollikon) schaffen nun Abhilfe: Sechs Studierende sind seit Herbst 2019 in ehemaligen Personalwohnungen der städtischen Zentren einquartiert, wie die Stadt Zürich heute in einer Mitteilung schreibt. Dort wohnen sie günstig und weit unter dem Marktmietwert – aber nicht ohne Gegenleistung. «Die jungen Menschen leisten einige Stunden pro Woche gemeinnützige Arbeit und können dadurch ihre Mietkosten minimieren», erklärt der Leiter des Zentrum Klus, Walter Cassina, auf Anfrage. Sie helfen etwa bei Computerproblemen, organisieren Lesekreise, Spiel- oder Kochabende. Wünscht jemand eine Begleitung für ein Theater oder Konzert, können die Studierenden angefragt werden.

Enttäuschungen vermeiden
Das Projekt ist Teil der Altersstrategie 2018, die derzeit unter Stadtrat Andreas Hauri entwickelt wird und einen Fokus auf alternative und flexible Wohn- und Betreuungsformen legt. Beworben haben sich die jungen Leute auf öffentlich ausgeschriebene Wohnungsinserate. Das Interesse war gross. «Wir hatten gegen dreissig Bewerbungen», verrät Cassina. Ausgewählt wurden schliesslich fünf Frauen und ein Mann, die bereits ein Vorwissen in Alters- und Pflegethemen mitbringen.

Altersforscher François Höpflinger, der am Zentrum für Gerontologie in Zürich lehrt, kann dem Projekt viel Positives abgewinnen. «Der Kontakt mit jüngeren Menschen ist für Hochaltrige sehr stimulierend ­– wenn auch nicht für alle», sagt er. Dreiviertel profitierten, der andere Viertel fühle sich eher gestört und möchte nicht an die eigene Jugend erinnert werden. Entscheidend für das Gelingen sei, dass die Einsätze gut organisiert und koordiniert werden, damit es nicht zu Enttäuschungen komme. So hätten sich Versuche, wo Studierende gegen Hilfe in privaten Haushalten einquartiert wurden, in der Vergangenheit als problematisch und aufwändig erwiesen. «Ein guter Match zwischen den Parteien ist ein Glücksfall», so Höpflinger. Nicht selten kommt es zu Enttäuschungen, weil der neue Mitbewohner zum Beispiel ein Auslandsemester einlegen will oder die Studentin vor Prüfungen keine Zeit mehr hat.

Modell der Zukunft
Im altersdurchmischten Wohnen im Alterszentrum sind solche Situationen laut Höpflinger weniger heikel. Indem sich die emotionale Verantwortung auf mehrere Schultern verteile, bestehe keine 1:1-Beziehung wie beim privaten Modell. Den grössten Gewinn sieht der Experte darin, dass Leistungen abgedeckt werden können, für die das Personal oder auch Angehörige keine Zeit haben und die keine Krankenkasse übernimmt. Abgesehen davon mache sich ein solcher Sozialeinsatz gut im Curriculum angehender Mediziner, Pflegender oder Psychologen. Dass sich auch andere Städte für das Modell interessieren, hält der Altersforscher für wahrscheinlich. «Generationsübergreifende Projekte entsprechen dem Zeitgeist» – ob im Klassenzimmer, im öffentlichen Raum oder in der Nachbarschaft.

Viel Begeisterung ist zwei Monate nach Projektbeginn im Zentrum Klus zu spüren. «Es ist wunderbar, dass wir mit den Studierenden spontan zum Beispiel einen Spaziergang zum See machen können», lässt sich eine Bewohnerin zitieren. Wie sich das Zusammenwohnen langfristig auf den Betrieb und den Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner auswirkt, werde sich zeigen, heisst es in der Pressemitteilung.

Sandra Hohendahl-Tesch, reformiert.info, 14. November 2019

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