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Influencer – im Namen des Herrn

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05.01.2020
Influencer beherrschen die sozialen Medien und die Werbung. Jetzt entdecken die Kirchen diesen Kanal, um die Jugendlichen zu erreichen.

«Hey, ich bin Jana», sagt die junge Frau, lacht und fügt an, «ich habe Spass.» Dann streicht sich die Medizinstudentin durch die blonden Locken und ihre blauen Augen strahlen noch heller. Die 19-Jährige ist in Sachen Glaube in den sozialen Medien unterwegs. Im Auftrag der Evangelischen Kirchen in Deutschland betreibt sie Marketing für Gott. Jana Highholder berichtet ebenso ungeniert vom Krebs, den sie als 6-Jährige hatte, wie von Alltäglichkeiten und von Gott.
Wenn sie sagt, der Glaube sei nicht nur Teil ihres Lebens, sondern das Fundament, so nimmt man ihr das ab. Doch die junge Frau will nicht nur nett sein, sondern Kante zeigen. «In einer Welt, in der alles irgendwie okay ist, haben wir oft kein Verhältnis mehr zu wahr und falsch. Aber es gibt Wahrheiten, es gibt Glaube und es gibt das Gegenteil von Wahrheit.» Da will die Influencerin des Herrn Klartext reden.
Influence-Marketing sei auch für die Kirchen in der Schweiz durchaus ein Thema, stellt Charles Martig, Direktor des Katholischen Mediendienstes, fest. Doch Martigs Haltung ist ambivalent. Die Konkurrenz im Netz sei riesig, die Professionalisierung hoch. Und die Werbung stehe klar im Vordergrund. Da müsste die Kirche ihren eigenen Weg suchen, um authentisch und glaubwürdig aufzutreten. Martig befürchtet, dass die Kirchen bald einmal an Grenzen stiessen: Einfach einen Geistlichen in den sozialen Medien aufzubauen, reiche nicht. «Es muss glaubwürdig sein, sonst verkommt es zur Show.»

Haltung zeigen
Ausserdem, so Charles Martig, müssten Influencer Haltung zeigen. Doch gerade bei gesellschaftspolitischen Themen sorge dies für «Reibungsfläche und Kritik». Martig weiss, wovon er spricht. Als er in einem Blogbeitrag zur Service-public-Debatte die damalige Zürcher SVP-Nationalrätin Nathalie Rickli kritisierte, löste dies einen Sturm der Entrüstung aus. Rickli trat öffentlichkeitswirksam aus der Kirchgemeinde Winterthur aus, sekundiert vom Applaus von Bischof Huonder.

Influencer Papst Franziskus
Während sich die katholische Basis zurückhält, ist Papst Franziskus auf allen sozialen Medien präsent. Dies mit Erfolg. 6,3 Millionen Schäfchen zählt der Papst auf seinem Instagram-Account. Und der 82-Jährige ist der erste religiöse Influencer, der in die exklusive Gilde der Stars wie Madonna, Lady Gaga oder Leonardo Di Caprio vorstos­sen konnte. «Ja», bestätigt Charles Martig, «Papst Franziskus ist unser wichtigster Influencer, der sich auf den Kanälen für soziale Gerechtigkeit und die Umwelt starkmacht.»
Anlässlich des Weltjugendtages in Panama twitterte der Papst, Maria sei die einflussreichste Frau in der Geschichte. «Ganz ohne soziale Medien ist sie die allererste Influencerin geworden – die Influencerin Gottes.» Die Follower reagierten auf den Tweet und twitterten zurück, eigentlich sei eher Eva die einflussreichste Frau in der Menschheitsgeschichte. «Sie zeigt, dass nicht die Mutterschaft, sondern Ungehorsam und Selbstbewusstsein Frauen stark macht.»
Während die katholischen User ihren Papst haben, setzen die Protestanten auf ihre «Miss Reformiert». Hinter dem Namen steht Pascale Huber. Die Pfarrerin leitet als Geschäftsführerin die Reformierten Medien. Als sie noch Gemeindepfarrerin in Thun war, habe man sie angefragt, ob sie die Aufgabe übernehmen wolle.
Tagtäglich ist Huber beruflich und privat auf Facebook, Twitter und Instagram unterwegs. Ihre Themen bezieht sie aus den News und ihrem Alltag. Auf Twitter folgen ihr 1879 Follower, auf Facebook zählt sie 1100 Freunde. Freunde? «Klar», antwortet Huber, «auch der Austausch in der digitalen Welt sei echt und tief.» Natürlich habe sie «Kontakte in der Kohlenstoffwelt». Doch im Laufe der Zeit baue man auch enge Beziehungen im Netz auf. Als jemand aus der Twitter-Gemeinde starb, war die Betroffenheit und Trauer gross.
Neben Pascale Huber ist auch die ehemalige «Wort zum Sonntag»-Sprecherin Sibylle Forrer als Influencerin unterwegs und gibt Einblick in ihr Pfarramt.
Und in Tamin GR veranstaltete Pfarrer Robert Naefgen im Dezember den ersten Twitter-Gottesdienst. Live wurden Nachrichten und Fotos aus der Kirche gepostet – mit der Möglichkeit, in den sozialen Medien zu reagieren. Die Fürbitte beispielsweise konnte man bequem vom Sessel in der guten Stube aus unter Hashtag #Tamin19 mit «bitte betet für meinen kranken Bruder» kommentieren, sagt der Bündner Pfarrer zu kath.ch. Doch Naefgen warnt vor zu hohen Erwartungen. Noch sei der Twitter-Gottesdienst ein zartes Pflänzchen.
Daniel Betschart, Experte für Medien bei Pro Juventute, wundert sich, dass die Kirchen in der Schweiz nicht aktiver im Web unterwegs sind. In den USA oder in Deutschland verbreiteten etliche Prediger ihre Botschaften in den sozialen Medien und erreichen damit viele. Für ihn steht fest: Wenn die Kirche die Jugendlichen erreichen will, seien die Social-Media-Kanäle zwingend.
Und war Jesus ein Influencer? Das kommt auf die Sichtweise an, meint Betschart. «Einerseits hatte er ja viele ‹Follower› und erzielte mit seiner Botschaft eine Wirkung. Anderseits war er kein moderner Influencer, denn er liess sich nicht von der Werbeindustrie sponsern.»

Tilmann Zuber, Kirchenbote, 5.1.2020

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