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Es braucht Neugier und etwas Poesie

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24.02.2020
Hat Gott eine Mama? Kommt das Meerschweinchen in den Tierhimmel? Wo ist Opa jetzt? Religiöse Kinderfragen fordern heraus. Der Theologe Daniel Ritter darüber, warum Kinder Rituale und ein offenes Ohr brauchen.

Daniel Ritter, Ihr Buch trägt den Titel «Hat Gott eine Mama?» Und, hat er?

Wenn Sie mich das als Erwachsenen fragen, antworte ich, «gute Frage». Wenn die Frage von einem Kind stammt, würde ich auf jeden Fall zurückfragen, «was meinst du mit Mama»? Ich will erfahren, was hinter dieser Kinderfrage steckt. Als Erwachsene antworten wir oftmals, bevor wir die Frage richtig verstanden haben. Meist stehen dahinter komplexe Zusammenhänge.

Auch bei der Frage nach der Mama?

Das Kind meint ja vielleicht nicht die Mutter im biologischen Sinn, sondern es fragt danach, ob auch Gott Geborgenheit, Rückhalt und Heimat braucht. Wer Kindern antwortet, soll ihnen den Raum geben, eigene Gedanken zu äussern und diese zu erklären. Als Erwachsener bringe ich dann ergänzend meine eigenen Überzeugungen ins Spiel.

Was interessiert Kinder am Glauben am meisten?

Existenzielle Fragen, die das Leben und den Tod betreffen. Als mein Vater starb, fragte mich meine Tochter, «wo ist der Grossvater jetzt?» Übrigens: Solche Fragen beschäftigen alle Menschen in allen Religionen. Wir alle fragen ja nach Anfang und Ende des Lebens, woher wir kommen und wohin wir gehen, was wichtig ist im Leben und was der Sinn unserer Existenz ist.

Heute sind die Religionen gesellschaftlich in den Hintergrund getreten. Damit auch der Religionsunterricht?

In der Gesellschaft ist die Auseinandersetzung mit Glaube und Religion nach wie vor stark. Was abnimmt, ist die Verbindung zur Institution als Kirche. Insofern ist die religiöse Erziehung nach wie vor wichtig, damit Kinder eine eigene Haltung und Toleranz gegenüber anderen Religionen und Gemeinschaften entwickeln können. Der Lehrplan 21 macht deshalb «Ethik, Religionen und Gemeinschaft» explizit zum Lehrauftrag.

Beim kirchlichen Unterricht stehen die Eltern oftmals vor der Frage: lieber Fussballtraining oder Religion? Was spricht für den Religionsunterricht?

Wir Menschen sind religiöse Wesen. Wir geraten im Leben in Situationen, in denen sich existenzielle Fragen stellen, sei es beim Tod, einer unglücklichen Liebe oder bei Ungerechtigkeit. Bei diesen Fragen zeigt sich, ob unser Konzept «verhebt» und ein Stück Transzendenz scheint auf. Und da hilft der Religionsunterricht. Kinder lernen die Bibel und die Tradition als einen Erfahrungsschatz kennen, der sie unterstützt. Sie entwickeln ihre Identität, erwerben eine religiöse Ausdrucksfährigkeit, vertiefen ihre Spiritualität und setzen sich mit Werten auseinander.

Vielen Eltern fällt die Antwort schwer, wenn ihre Kinder sie danach fragen, was nach dem Tod kommt. Darf man sagen, man weiss es nicht?

Das darf man nicht nur, man muss es sogar. Niemand weiss, was nach dem Tod kommt. So zu tun, als wisse ich, was nach dem Tod kommt, halte ich für gefährlich. Bei der Frage geht es nicht um wissenschaftliche Fakten, sondern um die Frage nach Vertrauen und Glauben. Als religiöser Mensch kann ich darauf vertrauen, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod und der Tod nicht das Ende von allem darstellt. Von diesem Glauben kann ich erzählen, von dem, was andere Menschen erlebt haben und auch, was in der Bibel steht. Und davon, dass ich es nicht weiss. Daraus ergeben sich mit den Kindern oftmals spannende Gespräche. Glaube basiert auf Freiheit, und ein Kind muss selber entscheiden können, was es denkt.

Sollte man erklären, das tote Meerschweinchen sei im Tier-himmel? 

Ich würde den Tierhimmel nicht aufgreifen, das wird kompliziert. Ich weiss auch nicht, ob Tiere in den Himmel kommen und dann noch in einen eigenen. Das katholische Lehramt beantwortet diese Frage nicht abschliessend. Und falls meine Tochter sagt, das Meerschweinchen sei jetzt im Tierhimmel, ist dies eine Vorlage für ein spannendes Gespräch.

Sie theologisieren gerne mit Kindern?

Ja, auch wenn ich Theologie studiert habe, merke ich erst seit ich selber Kinder habe, wie Kinder theologisch clever sind und wie viel ich durch sie lerne. Das ist wunderschön.

Vom Schönen zum Brutalen. In der Bibel gibt es gewalttätige Szenen.Können Kinder damit umgehen?

Ja. Kinder haben die tolle Fähigkeit, in einer Geschichte nur das zu hören, was sie verarbeiten können. Ich kann beim Erzählen die Geschichte so steuern, dass sie den Kindern zugänglich wird. Die Geschichten geben ja menschliche Erfahrungen wieder, etwa jene vom kleinen David gegen den übermächtigen Goliath. Kinder erleben sich oft in dieser Rolle. Da zeigt die Geschichte, wie Gott auf der Seite der Schwachen steht und auch die Kleinen ihre Möglichkeiten haben. Das gibt Hoffnung.

Brauchen Kinder Rituale wie das Abend- und das Tischgebet?

Alle Menschen brauchen Rituale. Sie helfen, die schönen und schwierigen Momente des Zusammenlebens zu strukturieren und verleihen Rückhalt. Dazu gibt es die verschiedensten Formen wie Lieder, Gebete und Geschichten. Man kann einander am Abend am Bett erzählen, was man tagsüber erlebt hat. Jede Familie darf ihre eigenen Rituale entwickeln, dabei sollten die Eltern nicht einfach vorschreiben, was gemacht wird. Und sie sollten sich Zeit für das Ritual vor dem Zu-Bett-Gehen nehmen.

Sollte man sich als Eltern aufs Beten einlassen, selbst wenn man damit nichts anfangen kann?

Schwierige Frage. Man sollte sich in der religiösen Erziehung nur auf das einlassen, zu dem man eine Beziehung hat. Kinder entdecken rasch, wenn man nicht authentisch ist. Wenn man nicht an Gott glaubt, heisst das aber nicht, dass man auf Rituale verzichten sollte. Dann sind Alternativen gefragt: Geschichten etwa, in denen fundamentale Werte vorkommen, oder man kann sich über den Tag austauschen. Auch in der Bibel findet man Geschichten, in denen Gott nicht explizit vorkommt. Trotzdem «atmen» diese die Absicht Gottes, die Menschen zu befreien.

Und wie beginnt man am besten?

Mein Tipp: Fang einfach an und probiere es aus. Für ein Gespräch auf Augenhöhe reichen Respekt und etwas Freude am Experimentieren.

Und dann klappt das Gespräch?

Ja. Um religiöse Fragen beantworten zu können, braucht es Neugier, ein bisschen Poesie und vor allem offene Ohren. Ich denke, das Wichtigste am theologischen Reden ist das Hinhören.

Interview: Tilmann Zuber, Kirchenbote, 24.2.2020

 

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