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«Ich hätte mir gewünscht, dass mich jemand willkommen heisst»

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28.02.2020
Brikela Andrea kam vor achtzehn Jahren aus Albanien in die Schweiz. Heute arbeitet sie als interkulturelle Übersetzerin und Bibliothekarin. Der Weg bis hierher war anspruchsvoll.

Dass Brikela ihr Vor- und Andrea ihr Nachname sei, wüssten viele Leute nicht, sagt die 47-Jährige lachend. «Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass man mir hier häufig Andrea sagt. Es ist tatsächlich nicht ganz leicht zu verstehen.» Brikela ist auch in Albanien kein häufiger Vorname. «Meine Eltern wählten ihn aus einer Liste von Vornamen aus, die von der Partei vorgegeben waren, und nun heisse ich halt Brikela.»

In einer Fabrik landen, wollte sie nicht
1973, als Brikela Andrea in Tirana zur Welt kam, war Albanien noch ein kommunistisches Land. Ihr Vater war Busfahrer, ihre Mutter Mitarbeiterin in eine Druckerei. Ihre Familie sei ganz normal gewesen, beschreibt sie. «Ich hatte eine schöne Kindheit, es fehlte mir an nichts, auch wenn es dem Land in dieser Zeit wirtschaftlich nicht besonders gut ging. » In der Schule gab sie ihr Bestes, nicht zuletzt weil sie mit ihrem Vater oft an einer Teppichfabrik vorbeiging. Durch die Fenster habe sie die Frauen bei der Arbeit gesehen und ihr Vater habe jedes Mal gesagt: wenn Du nicht genügend lernst in der Schule, landest Du in einer Fabrik wie dieser. «Das hat mich motiviert, denn eine solch eintönige Arbeit wollte ich keinesfalls machen. Also lernte ich fleissig und habe viel gelesen.»

Trotzdem reichte der Notendurchschnitt beim Abschluss ganz knapp nicht, um anschliessend Journalismus zu studieren. «Mein Vater war sehr enttäuscht. Und ich auch, denn ich wollte unbedingt einen Beruf lernen, der mit Sprache zu tun hat.» An einer Fachhochschule liess sie sich zur Mütter- und Väterberaterin ausbilden und fand bald darauf eine Stelle. «Das war nicht selbstverständlich, denn nach dem Zusammenbruch des Kommunistischen Regimes 1990 hat sich die Arbeits- und Lebenssituation in Albanien drastisch verschlechtert.»

Die Schweiz war ein Schock
In die Schweiz kam sie 2002. Brikela Andrea folgte ihrem Mann, einem Bauingenieur, der schon einige Jahre hier arbeitete. Die beiden lernten sich in Tirana kennen und nach der Hochzeit zog die damals 29-Jährige, ohne ein Wort Deutsch zu können, nach Bern. «Ich sprach Englisch und Italienisch und glaubte, das wäre für die Schweiz eine gute Grundlage. Doch als ich hier war, musste ich feststellen: man spricht ausschliesslich deutsch. Das war ein Schock.»

Die ersten Jahre waren sehr schwierig für sie: ohne Sprache, ohne Job, eigenes Geld und ohne Freunde fühlte sie sich abgehängt und wertlos. «Bevor ich hierherkam, freute mich auf die schönen Landschaften und auf die vielen Möglichkeiten, die die Menschen hier haben.» Doch davon hatte sie nichts und sie fühlte sich allein gelassen. «Ich hätte mir gewünscht, dass mich jemand willkommen heisst in der Schweiz und mir zeigt, was es braucht, um hier Fuss zu fassen.»

Über Umwege zum Traumberuf
Jede freie Minute lernte sie Deutsch, auch als ihre beiden Kinder zur Welt kamen. Dann bot sich die Möglichkeit, eine Ausbildung als interkulturelle Übersetzerin, und bald darauf als Bibliothekarin zu machen. Daneben arbeitete sie als Freiwillige im «Zentrum 5», einem Integrationszentrum für Migrantinnen. Seit zehn Jahren leitet sie dort nun die Bibliothek und ist verantwortlich für das Kulturprogramm. Dieser Job sei für sie ein absoluter Glücksfall, meint Andrea. «Über Umwege bin ich nun doch noch in einem Beruf gelandet, der mit Sprache zu hat, auch wenn es nicht mein Traumjob Journalistin ist.»

Ihre Kinder sind im Gymnasium. Die Mutter ist stolz auf sie. Leider stehe ihr Mann derzeit ohne Arbeit da, und als über Fünfzigjähriger, eine neue Stelle zu finden, sei nicht leicht. «Seine Situation tut mir sehr leid, denn er hat all die Jahre für mich und die Kinder gesorgt», meint sie dankbar. «Nicht in der Heimat zu leben, ist anspruchsvoll. Aber auch für Nicht-Migranten bietet jede Lebensphase neue Herausforderungen. Und ich möchte meinen Mann nun unterstützen, so wie er mich all die Jahre unterstützt hat.»

Katharina Kilchenmann, reformiert.info, 27. Februar, 2020

 

 

 

 

 

 

 

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