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Wie es ist, eine sehr alte Bibel in Händen zu halten

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29.06.2020
Fast siebeneinhalb Kilo schwer, mit Stichen illustriert und gedruckt in der Renaissance: Eine solche Bibel nicht hinter Glas zu sehen, sondern darin blättern zu dürfen, ist ein besonderes Erlebnis.

Alte Bücher verströmen eine besondere Aura – die Aura von überliefertem Wissen und traditioneller Drucker- und Buchbinderkunst. Handelt es sich dabei auch noch um eine illustrierte Bibel, ist die Ehrfurcht vollkommen, vor allem, wenn das Buch, sagen wir mal, 400-jährig ist. Kein Wunder, werden solche Kostbarkeiten in den Museen hinter Glas gezeigt und von Archivaren nur mit weissen Handschuhen berührt.

Wie aber ist es, eine solche Preziose selbst einmal in Händen zu halten? Dass ich einmal in den Genuss dieses Erlebnisses kommen würde, wagte ich kaum zu glauben. Bis vor Kurzem, als mir einer meiner Freunde von einer alten Bibel erzählte, die einem Burgdorfer Unternehmer gehört. Und vor Zeiten im Besitz eines Pfarrers war, der angeblich im Geruche der Ketzerei stand. Meine Neugier war geweckt, dieses Buch wollte ich sehen.

Die Bibel fährt mit
«Kein Problem, komm rasch vorbei, kannst sie ein paar Tage mit nach Hause nehmen», sagte der Besitzer prompt, als ich ihn anrief. Na wunderbar – eine solche Gelegenheit lässt man sich natürlich nicht entgehen. Ich fuhr also beim Unternehmer vor, er erwartete mich schon und legte mir den schweren Wälzer unkompliziert auf den Autorücksitz.

Erst zu Hause nahm ich mir die Zeit, die Bibel genauer in Augenschein zu nehmen: ein wuchtiger Band, gebunden in ornamental gestanztes Schweineleder, gedruckt in Fraktur, mit Kupferstichen illustriert und versehen mit einem kunstvollen Frontispiz und metallenen Beschlägen. «Biblia: Das ist, Alle Bücher Alts und Neuwes Testament: den ursprünglichen sprachen nach auff das trewlichste verteütschet», lautet der umständliche Titel, der sogar noch um einiges länger ist.

Die Druckerei, in der 1597 diese besondere «Biblia» entstand, war der Betrieb von Johannes Wolffen in Zürich. Es handelt sich um eine Bibel in der Zürcher Übersetzung, und zwar in einer revidierten Fassung, die auch die Verseinteilung kenntlich macht. Dies war erst ab 1589 üblich.

Ein Zufallsfund
Überraschend zum Vorschein kam die historische Kostbarkeit 1954, als in Burgdorf BE das Fin-de-siècle-Hotel Guggisberg abgerissen wurde. Der Schreinermeister, der gerufen wurde, um einen noch verwendbaren Einbauschrank im ehemaligen Festsaal des Restaurantbetriebs abzuholen, fand auf dem obersten Regal die Bibel – und durfte sie behalten. Der Schreinermeister war der Vater des heutigen Besitzers. Wie das Buch überhaupt ins «Guggi» gelangt war, bleibt ein Rätsel.

Auf dem Frontispiz, also der inneren Titelseite der Bibel, ist in schwarzer Tinte handschriftlich der Name des ursprünglichen Besitzers vermerkt: Heinrich Wild, 1612. Dieser Mann machte seinem Namen alle Ehre: Er war von aufmüpfiger Art und sorgte an seiner Wirkungsstätte für einigen Wirbel. Er war in der bernischen Landstadt Burgdorf als Hilfspfarrer angestellt und hatte den Dekan Bendicht Feuerstein zum Vorgesetzten – einen ebenfalls feurigen Kopf.

Wortgefecht mit Folgen
Es war an einem Gastmahl unter Theologen im Herbst 1634, als Seniorpfarrer Feuerstein in der gelehrten Runde die Bemerkung machte, die Ernte sei heuer wegen starker Unwetter mager ausgefallen, das sei sicher eine Strafe Gottes. Worauf sein Gehilfe konterte: Gott strafe wohl kaum auf diese Weise. In Italien sei das Laster ja allgegenwärtig – warum Gott denn die Italiener nicht auch mit Unwettern strafe? Dort sei das Wetter ja immerzu prächtig wie im Paradies. Seinem Chef gefiel diese Widerrede nicht. Unwillig kanzelte er den jugendlichen Provokateur ab: Er solle sich gefälligst zurückhalten, überhaupt greife er bei jeder Gelegenheit solche Sachen auf.

Der Gemassregelte merkte sich die Demütigung gut. Er revanchierte sich mit einem Schmähgedicht auf die Tochter seines Vorgesetzten, das er in einer Gaststätte öffentlich vortrug. Was natürlich wiederum Feuerstein nicht auf sich sitzen liess. Die Streithähne mussten in Bern vor Oberchorgericht antraben. Die beiden Theologen wurden angehört und schliesslich angewiesen, sich «in brüderlicher Liebe» wieder zu vertragen. Zudem mussten die beiden eine bescheidene Busse zahlen. Mit der brüderlichen Liebe war es allerdings nicht weit her, der Streit ging weiter, abermals musste sich Bern einschalten.

Das Gewicht der Geschichte
So schildert das Burgdorfer Jahrbuch 1966 die historische Episode um den Hilfspfarrer Wild, den einstigen Besitzer der grossen und dicken Zürcher Bibel. Um nun aber doch noch die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Wie ist es, eine sehr alte und kostbare Bibel in Händen zu halten? Es ist, ich zumindest habe es so erlebt, ein erhabenes Gefühl. Dieses Werk der Buchdruckerkunst entstand, als Shakespeare den «Kaufmann von Venedig» schrieb und seine Tragödie «Romeo und Julia» in Druck ging. Noch vor dem Dreissigjährigem Krieg also, noch vor Bach, Mozart und Beethoven, noch vor der Aufklärung, vor der Gründung der USA, vor der Französischen Revolution, vor den beiden Weltkriegen. Wer das Buch anhebt, spürt ein Gewicht von 7,3 Kilo in den Armen. Wer es noch ein wenig länger in den Händen hält, spürt plötzlich das Gewicht von 73’000 Tonnen Geschichte.

Hans Herrmann, reformiert.info

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