Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Sich für Menschlichkeit stark machen

min
20.07.2020
Die von den beiden Landeskirchen getragene Peregrina-Stiftung betreut seit 1986 im Auftrag der Thurgauer Regierung Flüchtlinge im Kanton. Cyrill Bischof, Präsident des katholischen Kirchenrats, der neu dem Stiftungsrat der Peregrina vorsteht, äussert sich über die Hintergründe der geplanten Umstrukturierung.

Was hat dazu geführt, dass der Stiftungsrat die Initiative ergriffen hat?
Es hat einige Wechsel auf personeller Ebene gegeben: in der Leitung des Sozialamtes, auf kirchlicher Seite im Stiftungsrates und beim Regierungsrat. Die Leitung der Peregrina hat vor allem auf der persönlichen Ebene funktioniert. Die Verschränkung der Stiftung mit dem Kanton hat davon gelebt, dass Einzelne gewusst haben, was in welcher Weise zu bewegen ist. Wir haben gemerkt, dass diese Konstellation persönlich geprägt ist und weniger von der Struktur her und dass die Gesamtstruktur nicht transparent genug ist.

Was bedeutet das konkret?
Es ist wenig beschrieben, wer genau welche Verantwortung trägt in den Bereichen, die Peregrina ausfüllt, zum Beispiel in der Immobilienbeschaffung. Ausserdem war keine umfassende Kostentransparenz gegeben. Bei einem konkreten Leistungsauftrag ist klar geregelt, welche Dienstleistung ein Auftragnehmer zu erbringen hat und zu welchen Bedingungen. Dann liegt die Verantwortung bei ihm. Zudem hatten wir Reklamationen bezüglich gewisser Standards in unseren Liegenschaften. Aber es ist nirgends definiert, an welchen Standards man sich orientiert. Auch hier braucht es mehr Klarheit. Und es braucht auch eine langfristige Planung für die Liegenschaften und Finanzen. Dann haben wir festgestellt, dass die Leute, auch in den Kirchen kritischer geworden sind und sich fragen: Was machen die Kirchen da überhaupt? Was steht für eine Grundhaltung dahinter? Ist es auch wirklich Kirche, wenn Kirche darauf steht?

Sie spielen damit auf die Kritik an der Unterbringung von ausreisepflichtigen Flüchtlingen an?
Ja. Man muss da aber schauen, was man genau bemängelt. Bemängelt man die Art und Weise, wie mit abgewiesenen Asylbewerbern umgegangen wird. Dann kann das Peregrina betreffen. Oder sind eher die Vorgaben vom Kanton gemeint. Oder betrifft es das persönliche Empfinden des Einzelnen. In der Asylthematik gibt es ja von rechts bis links sehr viele Meinungen. Man muss immer genau hinschauen, ob es von der Person abhängt oder von der Struktur. Wir haben gemerkt, dass wir als Stiftungsrat kaum auf solche Reklamationen eingehen können, weil wir zu weit weg sind. Wir hatten eine dreistufige Struktur: einen Stiftungsrat mit repräsentativer Funktion, einen Verwaltungsrat für strategische Aufgaben und die Leitung der Peregrina, die für das Operative zuständig war. Um kirchliche Anliegen geltend machen zu können, hätten wir entweder stärker auf die Verwaltungskommission Einfluss nehmen oder dem Stiftungsrat die Kompetenzen der Verwaltungskommission übertragen müssen. Wir haben uns für Letzteres entschieden. Damit ist eine Leitungsebene weggefallen, was nun Staub aufgewirbelt hat.

In diesem Fall entsteht für die Vertreterin oder den Vertreter des Regierungsrates ein Interessenkonflikt.
Ja, deshalb hat sich der Regierungsrat aus dem Stiftungsrat zurückgezogen. Er kann nicht eine Institution leiten, die von der kantonalen Verwaltung Aufträge erhält. Ich bedauere es allerdings, dass dadurch der direkte Kontakt zum Regierungsrat verloren ging. Stattdessen wurde eine andere Person aus der Politik in das Gremium berufen.

Wie soll es nun weitergehen?
Wir nehmen uns nun ein Jahr Zeit, um die Umstrukturierung durchzuführen. Dabei sollen strategische und operative Zuständigkeiten geklärt werden. Ausserdem geht es um die Entwicklung von Liegenschaften- und Finanzstrategien. Ein Team der Hochschule Luzern wird uns bei diesem Organisationsprozess begleiten. Zunächst wird in einer Situationsanalyse der momentane Stand erfasst werden. Daraus werden Schlüsse gezogen, die dann umgesetzt werden sollen.

Welches Ziel verfolgen die beiden Kirchen?
Die Würde des Menschen zu bewahren ist für mich ein Herzensanliegen. Es kann nicht sein, dass Kirche, die per Definition für die Menschen da ist, einfach wegschaut. Gastfreundschaft war «das» Thema für Jesus. Wenn wir dazu einen Widerspruch produzieren, müssen wir sehr aufpassen. Der Thurgau ist der einzige Kanton, in dem eine Stiftung der Landeskirchen diese Aufgabe im Asylbereich übernommen hat. Die beiden Kirchenräte wollen dieses Engagement weiterführen. Wir können etwas mehr Menschlichkeit hineinbringen als ein anderer Träger.

Die kirchliche Sichtweise reibt sich unter Umständen mit den politischen Vorgaben.
Es liegt nicht nur an den Vorgaben. Die grosse Kunst besteht ja gerade darin, dort wo Widersprüche bestehen, gute Lösungen zu finden. Das ist auch die Aufgabe der Peregrina und meine persönliche Motivation.

Warum ist es wichtig, dass die Kirchen sich dieser Verantwortung stellen?
Es gibt eine gesellschaftspolitische Komponente. Als Kirche haben wir nicht nur einen pastoralen Auftrag, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Wir sind Kitt in der Gesellschaft. Wir haben die Aufgabe, Gesellschaft und Asylanten miteinander in Beziehung bringen. Dafür müssen wir uns auch politisch engagieren. Ausserdem sind wir überzeugt, dass wir in jedem Menschen Gott begegnen. Deshalb müssen wir uns dafür einsetzen, jedem die Würde zu geben, die ihm zusteht, uns für Menschlichkeit stark machen im Rahmen der bestehenden Gesetze.

Wenn der Stiftungsrat die strategische Leitung der Peregrina-Stiftung übernimmt, braucht er dafür zusätzliche Kompetenzen…
Im Übergangsjahr holen wir uns das nötige Know-how über die Hochschule Luzern. Das begleitende Team kennt sich nämlich nicht nur in Organisationsentwicklung aus, sondern auch in der Asylthematik. Der Stiftungsrat muss sich in diese Thematik einarbeiten. Ich habe damit begonnen, mich intensiv mit diesem sehr komplexen Thema auseinanderzusetzen. Vor allem in der Übergangsphase braucht es diesen umfassenden inhaltlichen Überblick, später ist das unter Umständen in eingeschränkterer Form notwendig.


Lesen Sie hier mehr zur Umstrukturierung der Peregrina-Stiftung.


(Interview: Detlef Kissner, forumKirche)

Unsere Empfehlungen

Glücklich ist, wer freiwillig arbeitet

Glücklich ist, wer freiwillig arbeitet

Das Priestertum aller Gläubigen bekommt neuen Schwung: Mehrere Kantonalkirchen haben sich zusammengetan, um die Freiwilligenarbeit gemeinsam zu stärken. Dafür haben sie einen neuen Leitfaden herausgegeben.
«Es geht nur gemeinsam»

«Es geht nur gemeinsam»

Mit Christina Aus der Au wird ab Juni 2022 erstmals eine Frau die Evangelische Landeskirche Thurgau präsidieren. In der Synode setzte sie sich überraschend deutlich gegen Konkurrent Paul Wellauer durch. Was wird sich ändern?