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Wie sich Gott mit dem Weltgeist vermählte

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28.08.2020
Am 27. August 1770 wurde Gottfried Wilhelm Friedrich Hegel in Stuttgart geboren. Der Meisterdenker hat nicht nur Philosophen, sondern auch Theologen mit seiner Theorie bis heute beschäftigt. Denn in dem von ihm postulierten Weltgeist steckt Gott.

Puuuh! Gottfried Wilhelm Friedrich Hegel. Der Name ruft Erinnerungen an vertrackt-verschwurbelte Lehrererklärungen im Deutsch-, Philosophie- oder Geschichtsunterricht hervor. Hängen geblieben ist zumindest bei Maturandinnen und Maturanden der dialektische Dreiklang aus These, Antithese und Synthese, der bis heute jeden Matura-Aufsatz strukturiert.

Selbst so einem gescheiten Kopf wie dem Schriftsteller Heinrich Heine erscheint das Theoriegebäude des Meisterdenkers undurchdringlich. Als Jus-Student besucht Heine Anfang der 1820er in Berlin die Vorlesungen des Philosophenstars. Mit Ironie erinnert sich Heine an den «Maestro» der abstrakten Vernunft zurück: «Ich sah manchmal, wie er sich ängstlich umschaute, aus Furcht, man verstände ihn.»

Napoleon: «Weltseele zu Pferde»
Heine hatte bei Hegel die Vorlesungen über die Philosophie der Religion besucht. Religion und Philosophie, das war ein Grundthema, das Hegel von seiner Studienzeit in Tübingen bis zu seinem Tod im Jahre 1831 beschäftigte. In Tübingen nahm er das Studium der protestantischen Theologie und Philosophie auf. Dort teilte er sich mit dem Dichter Friedrich Hölderlin und  dem Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ein Zimmer im Tübinger Stift, gründete also eine Art Poeten- und Theologen-WG. Fasziniert von der Französischen Revolution sollen die «Tübinger Drei», zum Gedenken an den Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 um einen Freiheitsbaum getanzt haben. Aber die durch jakobinischen Terror verratenen Freiheitsideale rufen schon bald beim Geschichtsphilosophen Hegel den Widerspruch hervor. Napoleon avanciert zum «Geschäftsträger des Weltgeistes», zur «Weltseele zu Pferde». Denn der französische Herrscher stellt die staatliche Autorität nach dem revolutionären Terror wieder her, schützt aber auch mit dem «Code civil», dem französischen Gesetzbuch, die Rechte des Individuums. Napoleon hebt also die Autorität des Feudalstaats, die durch die Revolution angefochten wurde, auf eine neue Stufe, die sozusagen die Synthese aus beidem bildet. So wird er zum berittenen Weltgeist.   

Neben der Inkarnation des Weltgeistes in der Gestalt Napoleons gibt es für Hegel noch eine andere zentrale Figur, die sozusagen den Beginn der Moderne setzt: Martin Luther. Für den ehemaligen Tübinger Theologiestudenten bleibt sein Leben lang die Reformation das Emanzipationsereignis schlechthin. Vor allem eines zeichnet den Reformator Luther aus: dass er den Deutschen «das Buch ihres Glaubens in ihre Muttersprache übersetzt» habe. Denn dadurch sind nun alle Gläubigen zum eigenen Nachdenken über religiöse Dinge befähigt. Mit dem Priestertum aller Gläubigen könne nun der Geist zum Bewusstsein seiner selbst gelangen.

Stufenweise entfaltet sich der Geist, wird sichtbar in seinen Zeugnissen der Kunst, des Staates und eben der Religion. Dabei strebt der Geist immer mehr dem Punkt zu, sich selbst zu erkennen. Und im Finale dieses Wandlungsgeschehens fallen Gott und Weltgeist zusammen. Wenig verwunderlich hat diese Auflösung des Gottesbegriffs durch das Bewusstwerden des absoluten Wissens immer wieder die theologische Kritik auf den Plan gerufen. Einerseits enthüllt für die Theologen sich die Wahrheit nur in Gott selbst. Andererseits fechten sie ein Gottesbild an, bei dem sich der Schöpfer erst nach einem lang dauernden geschichtlichen Prozess sich seiner selbst bewusst wird.

«Letzte Konsequenz des Protestantismus»
Bei allen theologischen Einsprüchen bleibt unübersehbar: Der Zeit seines Lebens bekennende Lutheraner Hegel hat immer wieder Anläufe genommen, um seine Geschichtsphilosophie theologisch zu begründen. Ganz wichtig dabei war für ihn der Kreuzesstod Jesu. Indem Gott Mensch wird und stirbt, werden die sonst in den Religionen voneinander geschiedenen Sphären von Diesseits und Jenseits aufgehoben.  «Gott ist tot – dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist, die Negation selbst in Gott ist», postuliert Hegel. In der Kaskade, der sich gegenseitig aufhebenden Negationen, in dem Fortgang des Widerstreits von These und Antithese durchläuft das sich reflektierende Christentum Reformation und Aufklärung. Hegel doziert dann als religionsgeschichtlicher Deuter und Durchschauer im Hörsaal der Berliner Universität. Gott offenbare sich im historischen Prozess als der vorantreibende Weltgeist. «Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit in ihrer Objektivität selbst, Gott und nichts als Gott und die Explikation Gottes», notieren die Studenten, unter ihnen auch Heinrich Heine.  Der vom Judentum zur lutherischen Religion übergetretene Heine wird später diese philosophische Revolution als die «letzte Konsequenz des Protestantismus» umschreiben.

Delf Bucher, reformiert.info

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