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Schädlich wie 15 Zigaretten

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26.01.2021
Alleine zu leben, ist zum Trend geworden. Aber nicht alle sind damit glücklich. Gerade jetzt im Lockdown wird es für Singles besonders schwierig.

Fast 40 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich manchmal oder oft einsam fühlen – wesentlich mehr Menschen als noch vor gut zehn Jahren, wie die Angaben des Bundesamts für Statistik zeigen. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie haben viele zusätzlich Schwierigkeiten mit dem Alleinsein. Restaurants, Fitnesszentren, Theater, Museen und Kinos sind geschlossen.

René Schmied (Name geändert) trifft dies hart. Der 55-Jährige lebt in Basel, traf sich gerne mit Freunden und liebte das kulturelle Leben. Damit ist Schluss. Besonders am Sonntag sei es schlimm, erzählt der Witwer. Da liege er im Bett und überlege sich, was er machen könnte. Dann komme die grassierende Leere und er falle in ein Loch.

Vor Kurzem hat René angefangen zu meditieren, er spürt, wie es ihm gut tut «sich auf den Moment konzentrieren und nicht darüber nachzudenken, was war oder kommt». Letzthin besuchte er sogar einen Gottesdienst. Er, der ansonsten nie eine Kirche betrat, genoss den Klang der Orgel und Trompete. Dann beim Verlassen der Kirche verabschiedete sich die Pfarrerin hinter der Maske mit einem Nicken. Schmied wurde bewusst, wie wichtig selbst kleine Kontakte sind.

Nähe spüren trotz Distanz
Die 84-jährige Maria Figi aus Wängi fühlt sich auch sieben Jahre nach dem Tod ihres Mannes und trotz Distanz in Coronazeiten von Gott und der Gemeinschaft getragen, auch wenn Kontakte zu Söhnen und Enkelkindern sich meist nur noch auf Telefonate beschränken: «Ich fühle mich nicht allein. Ich habe eine liebe, gute Nachbarschaft und eine soziale Kirchgemeinde.» Wenn sie gefragt werde, wie sie mit ihrer Situation umgehe, dann bringt sie dies mit zwei Worten auf den Punkt: «Ich lebe!» Ihr Glaube sei ihr in dieser Situation eine wichtige Stütze. In der Coronazeit geniesse sie ihren grossen Garten besonders, «obwohl ich einmal gesagt habe, ich heirate nur einen Mann ohne Garten», sagt sie mit einem Augenzwinkern und freut sich, wenn sich spontan Gespräche über den Gartenzaun hinweg ergeben.

Maria Figis Gemeindepfarrer Lukas Weinhold aus Wängi stellt fest, obwohl Einsamkeit und Corona in den Medien immer stärker gewichtet werden, sind beides Tabu-Themen, über die man nicht wirklich persönlich reden möchte. Das kann verhängnisvoll sein.

Marko Hurst bestätigt, dass es hilfreich sein kann, Situationen der Einsamkeit – etwa wenn man in der Isolation oder Quarantäne ist – «erst einmal so zu akzeptieren wie sie sind». Er ist leitender Arzt der Psychiatrischen Dienste Thurgau und des Thurgauer Kriseninterventionszentrums, das die Corona-Hotline betreut. Er sei aber «zuversichtlich, dass es der Grossteil einigermassen gut verkraftet.»

In Beziehungen einsam
Harmlos ist die gesellschaftliche Situation nicht, weshalb den kirchlichen Angeboten, sei es in Kirchgemeinden oder darüber hinaus, eine wichtige Bedeutung beigemessen wird. Das bestätigt Martina Rychen, Geschäftsführerin des Internetseelsorge-Portals «seelsorge.net»: «Die Situation rund um Corona hat bei vielen bestehende Herausforderungen verschärft. Viele melden sich bei uns, weil jetzt eine Schwelle überschritten ist. Dies betrifft auch die Einsamkeit. Wobei dies oftmals auch Einsamkeit innerhalb von Beziehungen und Familien ist.» «seelsorge.net» verzeichnet denn für 2020 rund 50 Prozent mehr Neuanfragen – zum Teil über 200 pro Monat – und fast doppelt so viele Mails, die vom Team verschickt wurden.

Einsamkeit sei schädlicher als fehlende Bewegung und genauso schädlich wie 15 Zigaretten pro Tag, so das Fazit des Psychiaters Manfred Spitzer. Der streitbare und umstrittene Bestsellerautor bezeichnet Einsamkeit in seinem gleichnamigen Buch als «unerkannte Krankheit». Er geht sogar davon aus, dass Einsamkeit die Todesursache Nummer eins in westlichen Ländern sei, was von Studien bestätigt werde.

Roman Salzmann, kirchenbote-online

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