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Gehörlose und Corona: «Die Isolation hat sich verstärkt»

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29.01.2021
Gehörlose verstehen Sprechende wesentlich durch Mimik und Lippenlesen. Die Maskenpflicht verunmöglicht diese Kommunikation. Die Gehörlosenverbände fordern Unterstützung.

«Maskenpflicht: Die Kommunikation mit gehörlosen und hörbehinderten Menschen muss sichergestellt werden!», dies fordern die Schweizer Gehörlosenverbände in einer gemeinsamen Medienmitteilung.

Sie erhalten vermehrt Anfragen von Menschen, die aufgrund der Maskenpflicht von Informationen ausgeschlossen sind und dadurch um ihren Arbeits- oder Ausbildungsplatz fürchten. Die Verbände fordern: «Überall dort, wo man die gesprochene Sprache dank Mimik und Mundbild verstehen konnte, müssen nun Gebärdensprachund Schriftdolmetscher zum Einsatz kommen.»

Sie fordern die Behörden auf, die Rechte von gehörlosen und hörbehinderten Menschen bei den Corona-Massnahmen zu berücksichtigen und die Bevölkerung darüber aufzuklären. Neben dem Einsatz von Dolmetschern empfehlen die Verbände Masken mit Sichtfenstern zu verwenden oder zu Papier und Stift zu greifen. Auch Text-Apps von Smartphones können hilfreich sein.

Pfarrer Peter Vogelsanger vom Vorstand der Gehörlosengesellschaft Schaffhausen sieht auch die Kirche in der Pflicht: «Wir von der Kirche reden häufig von der Bedeutung des Wortes. Uns Menschen macht aus, dass wir miteinander kommunizieren können. Ich habe in der Kirche festgestellt, dass Menschen, die schlecht hören, einem unwillkürlich auf die Lippen schauen. Die Maske verunmöglicht das sowohl Gehörlosen als auch Schwerhörigen. Dieses Problem thematisiert die Kirche kaum.»

Gebärden lange verboten
Lange habe man gehörlose Menschen gezwungen, von den Lippen abzulesen und Laute zu artikulieren, die sie selber nicht hören können. «Die Gehörlosenschulen durften bis in die Neunzigerjahre das Gebärden nicht vermitteln und mussten auf das Lippenlesen setzen. Viele Betroffene aus der heutigen Generation beherrschen das Lippenlesen deshalb noch recht gut.» Aber auch die Gebärdensprache überträgt Informationen über die Gesichtszüge. «Emotionalität wird durch die Mimik ausgedrückt. Die Lippen und die Gesichtsmuskulatur gebärden mit», so der Seelsorger.

Doch nun verdecken Masken den unteren Gesichtsteil: «Alle, die auf das Lippenlesen angewiesen sind, haben deswegen grosse Verständigungsprobleme.» Laut BAG-Richtlinien sind Gehörlose und ihre Gesprächspartner deshalb von der Maskenpflicht befreit, wenn der notwendige Abstand eingehalten wird. «Das kann zu Anfeindungen und Missverständnissen führen, solange die breite Bevölkerung, Unternehmen, Dienstleister und Bildungseinrichtungen nicht darüber aufgeklärt sind», so der Pfarrer. In Amerika hat die Polizei Betroffene sogar verhaftet.

Das Gleichstellungsgesetz sichert Gehörlosen «das Recht auf Teilhabe und Information» schon lange zu. Doch das funktioniert nur lückenhaft: «Lautsprechermitteilungen an Bahnhöfen oder akustische Gegensprechanlagen an Pforten zu Polizeistellen und Dienstleistern sind nur zwei solcher Beispiele», so der Pfarrer.

Auch im kirchlichen Bereich haben Menschen mit Hörbehinderung Anrecht auf Teilnahme. In Schaffhausen finden jährlich sechs Gottesdienste mit Gebärden-Dolmetschern statt. Auf digitalem Weg hat sich dieses Angebot durch die Corona-Krise verdichtet: «Das Schaffhauser Fernsehen hat in der zweiten Jahreshälfte 2020 drei Fernsehgottesdienste mit Gebärden-Dolmetschern ausgestrahlt», sagt Peter Vogelsanger und fügt an: «damit wird auch das Bewusstsein der übrigen Zuschauerinnen geschärft.»

Inklusion noch weit weg
«Für viele Betroffene ist die Gebärdensprache die Muttersprache. Unser Hochdeutsch ist für sie eine Fremdsprache», ergänzt Anita Kohler, Leiterin des Gehörlosenpfarramtes in der Nordwestschweiz. Die Corona-Pandemie verstärke die Isolation der Gehörlosen: «Oft geht es um Kleinigkeiten, mit denen sie normalerweise keine Probleme haben. Ich musste jemanden in eine Apotheke begleiten. Es war der Person nicht gelungen, dem Personal mit Maske hinter Plexiglas zu erklären, welches Medikament sie benötigt.»

Ob in der Pandemie genug für die Gehörlosen getan wird, beurteilt sie kritisch: «Die ersten Pressekonferenzen des Bundesrats fanden ohne Dolmetscher statt. Mittlerweile klappt das und auf der BAG-Website existiert inzwischen auch eine Übersetzung in die Leichte Sprache. Aber vom Traum der selbstverständlichen Inklusion sind wir noch sehr weit weg.»

Adriana Di Cesare, kim

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