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«Der Vergleich ist unstimmig, ignorant und geschmacklos»

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30.04.2021
Der Autor Adolf Muschg will seinen Vergleich von Cancel Culture mit Auschwitz nicht zurücknehmen. Das enttäuscht unter anderem den Dachverband der Juden.

«Cancel Culture» ist ein Streitthema der Stunde – und schon als Begriff umstritten. Gemeint ist damit angebliche Empörungs-«Kultur» und deren negative Folgen: Dass Personen wegen Äusserungen und Handlungen ausgeschlossen und verunglimpft werden. Der dazu führende Druck entsteht vor allem über Social Media-Kanäle wie Twitter und Facebook.

Seit dem 25. April steht der Intellektuelle und Schriftsteller Adolf Muschg im Zentrum einer medialen Diskussion in der Schweiz. In der «Sternstunde Philosophie» auf SRF sagte er mit Bezug auf heutige Cancel Culture unter anderem: «Ein falsches Wort und du hast den Stempel. Das ist im Grunde eine Form von Auschwitz.»

Im Nachgang noch einen obendrauf
Eine Empörungswelle brandete durch die Medien. Es fassten auch Zeitungen der Verlage CH Media (u.a. Aargauer Zeitung, Tagblatt) und TX Group (u.a. Tages Anzeiger, Berner Zeitung) nach. Und Adolf Muschg – setzte noch einen obendrauf.

«Ich hätte das Unwort besser nicht gebraucht», zitiert ihn zwar der Tages Anzeiger in einer Stellungnahme. Diese schliesst er aber ab mit «ich nehme nichts zurück». Und im Tagblatt kommt Muschg unter anderem mit diesen Sätzen zu Wort: «Wenn wir Leute vom Diskurs ausschliessen, dann eliminieren wir sie aus der eigenen Welt und bauen uns eine ganz eigene. Das ist ein fürchterliches Fantasma wie Hitlers Rassenkunde.»

Zuerst ungeschickt, dann aber schockierend
Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), ist enttäuscht. «Wir können keine Einsicht erkennen. Von einer Persönlichkeit wie Herrn Muschg löst diese Haltung Enttäuschung aus», sagt er auf Anfrage. Der erste Vergleich in der «Sternstunde» hätte zwar irritiert. Aber «eine ungeschickte Formulierung kann jedem einmal passieren».

Doch als statt einer «kleinen korrektiven Stellungnahme» vonseiten Muschgs weitere Vergleiche mit Auschwitz oder der Judenverfolgung kamen, «waren wir schockiert. Das war kein Ausrutscher mehr», sagt Kreutner.

Instrumentalisierung einer Katastrophe
Dabei gehe es nicht darum, dass man nichts mehr sagen dürfe. Vielmehr sei es eine ethische Frage. «Ist es richtig, in einer Debatte zusammenhangslos die Schoah oder die Verbrechen der Nationalsozialisten als Vergleich für die eigene Argumentation zu benutzen? Ist das nicht viel eher eine Instrumentalisierung und banalisiert schliesslich die Schwere dieser Katastrophe?»

Schliesslich ist Cancel Culture ganz objektiv gesehen etwas völlig anderes: Dabei werden nicht millionenfach Menschen physisch vernichtet. Das müsse wohl nicht diskutiert werden, findet Jonathan Kreutner. «Der Vergleich ist also nicht einfach nur unstimmig, sondern ignorant und mit der Instrumentalisierung dieser Leiden geschmacklos.

Marius Schären, reformiert.info

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