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«Für viele ist der Stammtisch ihre Stube»

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25.05.2021
Seit bald einem Jahr sind die Restaurants geschlossen. Die Gastroszene leidet unter der Pandemie. Mit einem neuen Buch verleiht ihnen Gastroseelsorger Bernhard Jungen eine Stimme.

«Der Gastronomie geht es in der Pandemie schlecht», so das Fazit von Bernhard Jungen. Nicht nur Einzelnen, sondern einer ganzen Branche. Dies betreffe in Basel 950 Beizen, in denen 8000 Leute arbeiten. Selbst wenn viele Kurzarbeit hätten, so werde es mit 80 Prozent des Lohns und dem fehlenden Trinkgeld bald eng, so der Gastroseelsorger. Einige der Angestellten seien während der Pandemie in die Armut gerutscht, hätten ihr soziales Netz und ihre Tagesstrukturen verloren. «Das sei tragisch, denn Gastronomen sind Menschen, die von sozialen Beziehungen leben.»

Als Seelsorger erlebte der 64-Jährige hautnah, wie es den Menschen hinter den Tresen und in der Küche geht. Er sah ihre Ratlosigkeit und ihre Verzweiflung, als die Wirte nach dem Lockdown des Bundesrates alle Reservationen streichen oder etwa das «Atlantis» seine geplanten 180 Konzerte absagen musste. Die Durststrecke wird sich noch lange hinziehen. «Das rührt an die Existenz.» Doch aufgeben wollten die Wirte nicht, stellt Jungen fest. Er könne doch nicht seinen Lebenstraum begraben, habe ihm ein Beizer erklärt.

Während der Pandemie stand Jungen per Telefon und Whatsapp mit den Leuten in Kontakt, oder er besuchte die Gaststätten. Seit 2017 besucht der Gastroseelsorger im Auftrag der Evangelischen Stadtmission Basel die Betriebe. Einmal in der Woche fährt der Berner nach Basel und spricht mit den Leuten.

Buch aus der Gastroszene
Doch Bernhard Jungen will in der Krise nicht jammern und ratlos die Hände verwerfen. Vor Weihnachten entschloss er sich, den Betroffenen eine Stimme zu geben. Es habe ihn masslos geärgert, wenn die Medien beim Beizensterben «von Gesundschrumpfung » sprachen. Deshalb suchte er in der Pandemie die Wirtinnen und Wirte auf und führte 25 Interviews, die jetzt in einem Buch erscheinen. Jungen berücksichtigt die ganze Bandbreite der Gastroszene, angefangen beim Gault-Millau-Restaurant Roots bis zu «Zem alte Schluuch » im Kleinbasel. «Ich will mit diesem Buch kein Mitleid erregen», erklärt der Pfarrer, «sondern Respekt wecken für Menschen mit all ihrer Kreativität, Leidenschaft und Lebensfreude. » Hoffentlich bekommt der eine oder andere durch das Buch Lust, wieder einmal in einem Restaurant zu essen. Dann, wenn sie wieder geöffnet haben.

Der Stammtisch als Heimat
Die Wirte, die Köche und die Serviceangestellten, die in finanzielle Bedrängnis geraten sind, stehen unter Druck. Doch eigentlich lebten sie ihren Beruf mit Leidenschaft. «In der Gastronomie geschieht viel Integration, vor und hinter der Theke. In vielen Küchen finden Flüchtlinge den Einstieg ins Berufsleben, manche von ihnen eröffnen später ihr eigenes Lokal», erzählt Bernhard Jungen. Und der Stammtisch ist für viele Gäste ein Zuhause. «Bleibt die Quartierbeiz zu, so fehlt der Treffpunkt für die Begegnung und den Austausch. Die Gastronomie bietet mehr als Essen, für einige ist sie wie eine Stube und eine Heimat», meint der Seelsorger.

Beeindruckt hat Jungen die Kreativität und Solidarität in der Gastroszene. Einzelne nahmen im Lockdown mit ihren Mitarbeitenden sofort die Renovation des Lokals in Angriff und verhinderten so die Kündigung. Andere stellten auf Take-away und Hauslieferungen um. Und auch die Gäste reagierten. Um ihre Quartierbeiz Indigo Elephant in Basel in der schwierigen Zeit zu unterstützen, organisierten sie per Whatsapp eine Sammlung von 3000 Franken. «Diese Solidarität hat mich beeindruckt», sagt Bernhard Jungen.

Tilmann Zuber

Bernhard Jungen, Unfassbar – Wie die Basler Gastronomie der Krise trotzt, Verlag Reinhardt, 34.80 Franken

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