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Vom Schlaraffenland zum Jagdrevier?

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30.07.2021
Das «Hörnli», der grösste Friedhof der Schweiz, ist Ort der Besinnung und Erholung zugleich. Der Park bietet Lebensraum für die einheimische Flora und Fauna. Dies führt zu Konflikten. Letztes Jahr sorgte der geplante Abschuss von Rehen für Aufruhr.

Zwischen 1926 und 1932 legte der Kanton Basel-Stadt den Zentralfriedhof am Hörnli in der Vorortsgemeinde Riehen an. Er ist mit 54 Hektaren und Platz für 60 000 Gräber der grösste der Schweiz. Viele bekannte Persönlichkeiten fanden hier ihre letzte Ruhe, unter anderen Karl Barth und Karl Jaspers.

Das parkähnliche Areal ist symmetrisch angeordnet. Vom obersten Punkt aus überblickt man die Stadt Basel und die Anlage lädt nicht nur zur Erinnerung an die Verstorbenen, sondern mit seinen Grün- und Waldflächen auch zur Erholung in der Natur oder zur Kunstbetrachtung. Die Stadtgärtnerei Basel, die für den Friedhof zuständig ist, publiziert einen Kunst- und Gehölzführer samt einer Auswahl an prämierten Grabmälern.

Die Stadtgärtnerei möchte den Friedhof zudem «vermehrt als Freiraum – oder eben Kulturraum – mit hoher Aufenthaltsqualität positionieren» und lud letztes Jahr den Berner Künstler Matthias Zurbrügg mit der Ausstellung «ZEIT LOS LASSEN» ein. 26 Wortbilder mit bis zu vier Meter grossen Buchstaben konnten über die Friedhofanlage verteilt frei besichtigt werden.

25 Rehe leben auf dem Friedhof
Neben etlichen Kunstwerken finden auf dem Hörnli auch zahlreiche Tiere ein Zuhause. Seit jeher leben auf dem Friedhof Rehe. Letztes Jahr wurden 25 gezählt. Gemäss der Stadtgärtnerei verursachen die Tiere mittlerweile Schäden an Gräbern und Pflanzen in der Höhe von 100 000 Franken pro Jahr. Dies umfasst die Abwehr der Tiere sowie die Instandhaltung der Gräber und Anlagen. Die Rehe fressen die Blumen von den Gräbern und tun sich an den Kränzen gütlich.

Zudem litten die Tiere selber unter Dichtestress, sagte die Riehener Gemeinderätin und Tierärztin Christine Kaufmann gegenüber SRF. Da Vertreibungsaktionen wirkungslos geblieben seien, beantragte die Stadtgärtnerei den Abschuss, um den Bestand auf neun Tiere zu verkleinern. Dies bewilligte das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement im Mai 2020.

Petition und Rekurs gegen Abschuss
Die Empörung in der Bevölkerung gegen das geplante «Reh-Massaker» war gross. Eine Online-Petition sammelte in kürzester Zeit Tausende Unterschriften. Der geplante Abschuss der Tiere beschäftigte mit Vorstössen im Riehener Gemeinde- sowie im Basler Kantonsparlament auch die Politik. Weil das Thema mit dem Abstimmungskampf zum neuen Jagdgesetz zusammenfiel, erhielt es besondere Aufmerksamkeit, auch über die Region hinaus. Die Fondation Franz Weber legte beim Kanton Rekurs gegen den Abschuss ein. Damit habe die Tierschutzorganisation einen Nerv der Stadtbevölkerung getroffen, schrieb die NZZ.

Der Friedhof als Schlaraffenland
Das Problem mit den Rehen ist nicht neu. Schon 2013 berichtete die Basler Online-Zeitung «Online Reports» über die «paradiesischen Bedingungen» und das «Buffet», das Rehe, Dachse, Füchse und Raben auf dem Hörnli vorfinden. 2015 beschäftigte eine Interpellation aus dem Basler Kantonsparlament den Regierungsrat. Zu den Bedenken der Tierschützer kommt die Frage, ob es angemessen ist, auf einem Friedhof zu jagen. Die kantonale Jagdverordnung sehe für den Friedhof am Hörnli kein explizites Jagdverbot vor, so der Regierungsrat. Ein Abschuss war damals jedoch kein Thema.

Der Friedhof als Ausflugsziel
Viele Friedhofsbesucher erfreuen sich an den Rehen. Auf das Hörnli kommen nicht nur Hinterbliebene, um die Gräber ihrer Angehörigen zu besuchen und zu pflegen. Die Anlage zieht auch Familien und Sonntagsausflügler an, welche die Ruhe und das Naturerlebnis am Rande der Stadt schätzen. Dies war von Anfang an so vorgesehen. «Der im Grün der Landschaft eingebettete Friedhof soll im Gegensatz unseren heutigen, teilweise recht unerfreulichen Begräbnisstätten dem Besucher denjenigen Abstand vom Alltag bringen, der heute in Basel nirgends gefunden wird», heisst es 1925 im Gesetzesentwurf des Basler Regierungsrats. Die Rehe lebten schon dort, als der Friedhof angelegt wurde.

Auch in Bern und Zürich
Auf vielen Schweizer Friedhöfen leben seit Jahren wilde Tiere. Es ist ruhig, Hunde sind nicht erlaubt und das Nahrungsangebot ist reichhaltig. Die Tiere können sich ungehindert bedienen, insbesondere im Winter. Auf dem Berner Bremgartenfriedhof etwa kann man Füchse, Marder und Fledermäuse sichten. Wer Tiere beobachten wolle, habe auf dem Friedhof gute Chancen, erklärt die Wildtierbiologin Irene Weinberger auf der Webseite des Berner Tierschutzes. Friedhöfe böten den Tieren wichtige Rückzugsgebiete. Auf den Stadtzürcher Friedhöfen tummeln sich ebenfalls seit Jahren Füchse und Rehe.

Was die Rehe auf dem Basler Hörnli angeht, so äsen sie zurzeit friedlich weiter. Die Beteiligten suchen an einem von der Fondation Franz Weber initiierten Runden Tisch nach einer Lösung «ohne Blutvergiessen». Damit rücke die Rettung der Rehe in Sichtweite, freut sich die Tierschutzorganisation.

Karin Müller, kirchenbote-online

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