Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

«Kein Urteil, kein Gericht, keine Schuldigen»

min
25.08.2021
Hat die Evangelische Kirche Schweiz ihren ehemaligen Ratspräsidenten vorschnell als Täter abgestempelt, wie Medien vorwerfen? Die EKS wehrt sich: Es seien bloss Untersuchungsergebnisse.

Zumindest zwei Publizisten sehen klar eine Verfehlung. Diese lasten sie aber ebenso klar nicht Gottfried Locher an, dem ehemaligen Ratspräsidenten der Evangelischen Kirche Schweiz, sondern dem Ratsgremium: «Inquisition im rechtsfreien Raum» und «Scheinjustiz gegen Gottfried Locher» macht Christoph Mörgeli in einem Artikel in der Weltwoche aus, von «Känguru-Gericht», «Bananen-Kirche» und «Sodom und Gomorrha bei den Reformierten» schreibt Nebelspalter-Chefredaktor Markus Somm in seinem Magazin. Kurz: Beide lassen kein gutes Haar am Vorgehen der EKS zu den Geschehnissen rund um deren ehemaligen Ratspräsidenten.

Interne Untersuchung zeigt «Missbrauch»
Auslöser für die Breitseite von Somm und Mörgeli war die Medienkonferenz der EKS vom 4. August. Dort präsentierten die eigens einberufene Untersuchungskommission ihren Bericht zur Aufarbeitung der Geschehnisse und der Rat der EKS seine Stellungnahme dazu. Eine Äusserung sticht dabei besonders hervor: Es habe ein «Missbrauch» einer Mitarbeiterin des Kirchenbundes – so hiess die EKS zuvor – durch ihren damaligen Vorgesetzten Gottfried Locher stattgefunden, hält die Kommission fest. Die Frau hatte intern Beschwerde eingereicht. Und die jetzige Aufarbeitung der Geschichte durch das Anwaltsbüro Rudin Cantieni habe gezeigt, dass die Frau in ihrer «sexuellen, psychischen und spirituellen Integrität» verletzt worden sei.

Im vergangenen Jahr hätten weitere drei Personen «Vorkommnisse in Verbindung mit Gottfried Locher» gemeldet, hält der Bericht weiter fest. Dies sei erfolgt, nachdem die EKS via Website neu eine Möglichkeit aufgeschaltet hatte, Beschwerden einzureichen. Die Meldungen dieser drei Personen konnten aber nicht weiter behandelt werden, weil sie anonym bleiben wollten.

Der Beschwerdegrund ist verjährt
Erstmals hatte sich die Beschwerdeführerin 2011 an die Ombudsstelle des Kirchenbundes gewandt. Unternommen worden ist nichts, weil sich die Frau offenbar «nicht ausreichend konkret offenbart» habe, wie Rudin Cantieni in ihrem Bericht festhalten. Auch als die Beschwerdeführerin 2017 und 2018 erneut Personen des Kirchenbundes orientierte, hätten diese die Informationen als zu vage und den Wunsch der Frau nach Anonymität als Hindernis eingeschätzt, um die Vorwürfe weiterzuverfolgen. Das Anwaltsbüro hält zudem fest, dass heute wegen der Verjährung keine allfälligen Ansprüche mehr geltend gemacht werden könnten.

Trotz allem hiess es nun nach der Medienkonferenz vom 4. August in Medienberichten: «Übergriffe von Gottfried Locher bestätigt» (u.a. SRF, 20 Minuten), «Sexuelle Belästigung in einem Fall» (u.a. Oltener Tagblatt). Also genau das, was Mörgeli und Somm in der Weltwoche und im Nebelspalter kritisieren: Die «blamablen Untersuchungsergebnisse» (Mörgeli) hätten die EKS nicht daran gehindert, Gottfried Locher ohne Anklage, Beweise und Zuständigkeit zu verurteilen (Somm).

Nur «Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen»
Für Dominic Wägli, Leiter Kommunikation der EKS, sind die Vorwürfe von Mörgeli und Somm «haltlos». Sie würden bewusst strafrechtliche Urteile mit internen Untersuchungen verwechseln. «Strafrechtlich gilt für Gottfried Locher immer noch die Unschuldsvermutung.» Die Präsidentin der Synode habe an der Medienkonferenz vom 4. August auch explizit erwähnt, dass es sich um eine administrative Untersuchung handle und nicht um ein strafrechtliches Verfahren. «Es gibt demnach kein Urteil, kein Gericht und keinen Schuldigen, sondern Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen», hält Wägli fest.

Könnte aber nicht Gottfried Locher durch die Verbreitung des Resultates der internen Untersuchung in den Medien für die Öffentlichkeit als Täter in einem Sexualdelikt dastehen? Zumindest die Berichterstattung nach der Medienkonferenz legt das nahe. Dazu sagt der EKS-Kommunikationschef, dass seine Organisation schlicht transparent über die Ergebnisse der Untersuchung, die Empfehlungen daraus und das weitere Vorgehen orientieren wollte. «Es geht nicht primär um Herrn Locher, sondern um die Frage, ob die EKS – und namentlich ihr damaliger Präsident – ihre Fürsorgepflicht wahrgenommen haben.»

Locher weiterhin ohne Stellungnahme
Ob und welche rechtlichen Ansprüche daraus allenfalls abzuleiten seien, sei noch offen, sagt Wägli weiter. Ausserdem könne die EKS keine Angaben machen über das Motiv der Beschwerdeführerin, auf eine Anklage zu verzichten. Und dass Locher nicht befragt worden sei, wie Markus Somm im Nebelspalter behauptete, ist gemäss dem Anwaltsbüro Rudin Cantieni falsch. Vielmehr habe er auf Anfragen nicht geantwortet. Dasselbe beim fertigen Bericht, wie Dominic Wägli bestätigt: «Gottfried Locher wurde der Untersuchungsbericht eingeschrieben zugesandt, er hat ihn refusiert und auf jegliche Stellungnahme verzichtet.» Auch für «reformiert.» war Locher nicht erreichbar.

Abgesagt hat jüngst nun ebenfalls die reformierte Kirchgemeinde Chur die ursprünglich geplante Teilnahme von Gottfried Locher an einem Diskussionsabend zum Thema «Kirche im Dialog». Dieser letzte Anlass von insgesamt vier hätte gemäss einem Bericht von ref.ch am 3. September stattfinden sollen – zwei Tage vor der ausserordentlichen EKS-Synode vom 5. und 6. September. Der Diskussionsabend wäre der erste öffentliche Auftritt Lochers nach seiner Rücktrittserklärung als als EKS-Präsident am 27. Mai 2020 gewesen.

Marius Schären, reformiert.info

Unsere Empfehlungen

Mitglied sein oder nicht

Mitglied sein oder nicht

Die digitale Grossgruppen-konferenz der Reformierten Kirche des Kantons Luzern hat sich innert kurzer Zeit zu einem nationalen Event etabliert. Über 200 Teilnehmende aus allen Regionen und Bereichen nahmen teil und diskutierten über das Mitgliedsein.
Den Wandel meistern

Den Wandel meistern

Am 30. April stimmen die Mitglieder der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt über die Totalrevision der Kirchenverfassung ab. Für deren Annahme braucht es eine Zweidrittelmehrheit.