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Gut ausgebildete Seelsorgende fördern die Integration

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28.09.2021
Der Bundesrat will keine staatliche Ausbildung von Imamen. Er betont aber den Beitrag zur Integration, den muslimische Seelsorgende leisten, und will ihren Einsatz in Armee und Asylunterkünften fördern.

Immer mal wieder liest man Berichte über radikale Imame, die in der Schweiz predigen. Vor kurzem teilte der Bundesrat mit, dass er eine staatliche Imam-Ausbildung ablehnt, weil sie gegen die religiöse Neutralität des Staates verstösst: «Diese verbietet ihm, spezifisch auf eine Religion ausgerichtete Massnahmen zu ergreifen oder innerhalb einer Religionsgemeinschaft Ausbildungsvoraussetzungen festzulegen.»

Zudem erachtet der Bundesrat eine staatliche Imam-Ausbildung nicht als zweckmässig. Er bezieht sich auf eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Diese besagt, dass gemässigte Imame einen Beitrag zur Integration leisten können. Das Gleiche gelte jedoch auch für andere religiöse Betreuungspersonen, etwa Religionslehrpersonen, Seelsorgende, Frauen- oder Jugendgruppenleitende sowie Gemeindemitglieder mit speziellen Aufgaben. Mit anderen Worten: Der Einfluss der Imame auf die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher wird überschätzt.

Radikalisierungsprozesse sind komplex
Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft SZIG an der Universität Fribourg, bestätigt dies. Er arbeitete an der Studie des ZHAW mit. «Imame geraten in ein schlechtes Licht, wenn man ihre Tätigkeit auf die Prävention von Radikalisierung verengt», sagt Schmid. «Radikalisierungsprozesse sind komplex. Die Jugendlichen, die sich radikalisieren, haben ganz unterschiedliche Bezugsfelder. Sie treffen im Freundes- oder Bekanntenkreis auf extremistisches Gedankengut oder schauen Predigten und Videos im Internet. Nicht alle besuchen eine Moschee, für viele ist der Imam nicht der wichtigste Ansprechpartner», erklärt der Theologe, «die problematischen Prediger, die es gibt, sind meistens nicht fest angestellte Imame. Diese sind eine kleine Minderheit.»

Muslimische Seelsorgende
Indem der Bundesrat seine Untersuchung auf die Seelsorge und andere Mitarbeitende von Glaubensgemeinschaften ausweitete, würdigt er laut Hansjörg Schmid die Initiativen der Hochschulen und Verbände, die in den letzten Jahren entsprechende Aus- und Weiterbildungen aufgebaut haben. Die Universität Fribourg bietet CAS-Lehrgänge (Certificate of Advanced Studies) für muslimische Seelsorge an. Zurzeit schliessen 16 Personen diese Weiterbildung ab. Viele der Männer und Frauen, die aus der ganzen Deutschschweiz kommen, seien bereits vorher in der Seelsorge tätig gewesen, sagt Schmid. «Sie wollen ihre Qualifikationen verbessern, die in der Regel nicht denen christlicher Seelsorger entsprechen. Sie wollen in Spitälern, Gefängnissen und Asylunterkünften arbeiten.»

Die Ausbildung umfasst theologische Themen. In erster Linie vermittelt sie aber praktische Inhalte wie Gesprächsführung und spezifische Herausforderungen für die Seelsorge-Arbeit in Spital, Gefängnis und Asyl. «Gerade im Gefängnis befinden sich die Menschen in einer Situation, in der sie besonders empfänglich sein können für radikale Botschaften. Darum ist die Präsenz von gut qualifizierten Seelsorgenden wichtig und muslimische Seelsorger sind oft sehr gefragt», sagt Hansjörg Schmid.

Bund regelt, wo er kann
Mit der Ablehnung einer staatlichen Imam-Ausbildung zieht sich der Bund auch nicht völlig aus der Verantwortung zurück. Durch den Einbezug von privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften in öffentliche Institutionen wie Armee, Spitäler, Gefängnisse und Asylunterkünfte wird die Integration erleichtert, unterstreicht der Bundesrat: «Hier lassen sich die Aus- und Weiterbildungsvoraussetzungen für die Seelsorgenden vorgeben und durchsetzen.» In der Armee wird der Bund schon bald Betreuungspersonen verschiedener Religionsgemeinschaften in die Seelsorge einbeziehen. Der Bundesrat prüft nun, ob diese Praxis auch in den Bundesasylzentren flächendeckend eingeführt werden kann.

Der Imam Mustafa Memeti ist Leiter des Muslimischen Vereins Bern und Präsident des Forums für islamische albanische Organisationen in der Schweiz. Mit seinem Verein beteiligt er sich am interreligiösen Projekt «Haus der Religionen». Für ihn ist es «angesichts der Herausforderungen und vielen Hindernisse nicht der geeignete Zeitpunkt» für eine staatliche Imam-Ausbildung. Insbesondere bestehe heute keine Möglichkeit, das Konzept eines Imam-Studiums konstruktiv in den Lehrplan zu integrieren. Solange diese Frage nicht gelöst sei, müsse das Vorhaben verschoben werden.

Die Tätigkeit von Imamen in der Schweiz wird den Bundesrat weiterhin beschäftigen. Aufgrund eines Postulats der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats wird er prüfen, wie Personen, die in religiösen Reden extremistisches Gedankengut verbreiten, besser kontrolliert werden können.

Aus Jesuitenverbot lernen?
Die Frage, wie weit der Staat religiöse Gemeinschaften regeln soll, ist nicht neu. Davon zeugen die konfessionellen Ausnahmeartikel in der Bundesverfassung, etwa das Jesuitenverbot. Nach dem Sonderbundskrieg 1847 wies die Schweiz die Jesuiten aus. Im Kulturkampf fürchteten die Liberalen sie als Scharfmacher aus dem Vatikan. 1848 kam das Verbot des Ordens in die Bundesverfassung. Erst 1973 schaffte eine Volksabstimmung den Jesuitenartikel ab.

«Beim Jesuitenverbot ging es um ein innerchristliches Thema, bei der Imamfrage um ein interreligiöses», sagt Hansjörg Schmid. Die Jesuiten seien als verlängerter Arm des Vatikans wahrgenommen worden. «Die heutige Islamdebatte ist komplexer, sie ist auch stark von den Themen Einwanderung und Integration geprägt. Zudem wirken sich Terroranschläge und kriegerische Auseinandersetzungen in anderen Weltgegenden auf die Wahrnehmungen des Islams aus.» Andererseits gebe es in der Schweiz auch viele Projekte und Initiativen des interreligiösen Dialogs, die einseitige Wahrnehmungen kritisch aufarbeiten und Beziehungen zwischen den Akteuren vor Ort aufbauen, so Schmid.

Auch wenn ein direkter Vergleich nicht möglich ist, findet Schmid den historischen Bogen spannend: «Lernprozesse aus der Geschichte können hilfreich sein. Es hat lange gebraucht, bis die römisch-katholische Kirche etwa in Zürich 1963 oder in Basel 1972 anerkannt wurde, bis genug Vertrauen und Akzeptanz gewachsen waren. Das zeigt, wie wichtig vertrauensbildende Massnahmen sind. Ich hoffe, dass sich hier mehr Normalität entwickelt.»

Karin Müller, kirchenbote-online

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