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«Glaubensflüchtlinge sind unsere Wurzeln»

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30.09.2021
Vor 450 Jahren wurde die Französische Kirche in Basel gegründet. Sie ist damit die älteste französischsprachige evangelische Kirche der Deutschschweiz. Das Jubiläumsjahr startet am 31. Oktober.

Im 16. Jahrhundert von Hugenotten aus Frankreich gegründet, ist die Französische Kirche in Basel seit Anfang des 20. Jahrhunderts der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt angegliedert. «Über die Geschichte der Französischen Kirche in Basel ist nur wenig bekannt. Die derzeit einzige Schrift darüber umfasst nur ein paar Seiten», erklärt Evelyne Zinsstag, Pfarrerin der Eglise française réformée de Bâle.

Es handelt sich um Samuel von Allmens Beitrag «L'Eglise française de Bâle de 1572 à nos jours» aus dem Jahr 1981. «Erfreulicherweise wird schon bald eine Genfer Studentin im Rahmen ihrer Masterarbeit die reichen Bestände des Archivs der Eglise française auswerten. Relevante Teile dieser Masterarbeit werden in einer Publikation zum Jubiläum aufgenommen», sagt Evelyne Zinsstag.

Die Publikation erscheint voraussichtlich 2023 und wird auch Referate enthalten, die im Rahmen einer Tagung über die Eglise française im November 2022 gehalten werden.

Basel als sicherer Hafen
«Beim 450-Jahre-Jubiläum blicken wir zurück in die Vergangenheit und erinnern uns primär an die Hugenotten, die als Glaubensflüchtlinge ihre Heimatländer verlassen mussten», sagt Evelyne Zinsstag. «Sie sind die Wurzeln unserer Kirche. Im reformierten Basel haben sie vorübergehend Asyl oder für immer eine zweite Heimat gefunden.»

Für die Durchsetzung der Reformation in Basel war die Tätigkeit von Johannes Oecolampad entscheidend. Er war Professor der Theologie an der Universität und vertrat eine Lehre zwischen Zwingli und Luther. Dank seinem vermittelnden und besonnenen Vorgehen bei den Änderungen im Gottesdienst gewann er eine beachtliche Gefolgschaft in der Bürgerschaft und unter den Mitgliedern des Rats.

Unruhen im Zuge der Reformation
Das Auf und Ab der französischen Politik gegen die Protestanten und die Verfolgungen kann man an der französischen Kolonie in Basel gut verfolgen. Auf Dauer liess sich die geistliche Betreuung dieser Leute ohne eine eigene Kirche nicht bewältigen.

So kam es 1572 zur Gründung der Französischen Kirche in Basel. In diesem Jahr erhielt die französische Gemeinde vom Basler Rat die Erlaubnis, in einem privaten Haus Gottesdienst zu feiern. Ausschlaggebend für den Entscheid waren die Ereignisse rund um die Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August, in der Tausende Protestanten in Paris und in den Folgetagen in ganz Frankreich ermordet wurden.

Mehr Flüchtlinge folgen
Als König Ludwig XIV im Jahr 1685 das Toleranz-Edikt von Nantes widerrief, flohen innerhalb weniger Monate Hunderttausende. Das Edikt von 1598 hatte den calvinistischen Protestanten im katholischen Frankreich religiöse Toleranz und volle Bürgerrechte gewährt. Um den erwarteten Ansturm der Flüchtlinge zu bewältigen, einigten sich die reformierten Stände in der Schweiz auf einen Verteilschlüssel. Bern und Zürich nahmen rund 80 Prozent auf, Basel 12 und Schaffhausen 8 Prozent. Nicht alle Flüchtlinge wurden mit offenen Armen empfangen. Die Mittellosen wollte man nicht unterstützen müssen und gegen die Erfolgreichen wehrten sich die Zünfte, welche die handwerkliche Konkurrenz und um ihre Privilegien fürchteten.

Das Erbe der Hugenotten
Das historische Lexikon der Schweiz schätzt, dass sich rund 20'000 Hugenotten dauerhaft in der Schweiz niederliessen. Sie seien nicht nur aus religiösen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen aufgenommen worden.

In Basel zeugt etwa das Geschlecht der Sarasin, eingewandert 1628, oder der De Bary vom Einfluss, den einige der französischen Glaubensflüchtlinge auf die Region hatten. Ihre Nachkommen wurden als Händler, Fabrikanten und Bankiers bekannt. Sie prägten in Basel die Seidenband- und die Farbindustrie, aus der die heutige Pharmaindustrie entstand.

Um den Konflikt mit den städtischen Zünften zu vermeiden siedelten einige ihre Manufakturen ausserhalb der Stadt auf der Landschaft an. So eröffnete die Firma Sarasin im 19. Jahrhundert Seidenbandfabriken in Binningen und Sissach, De Bary in Gelterkinden.

Französische Kultur verbreitet
Nicht zuletzt trugen die Hugenotten mit der Gründung eigener Kirchen zur Verbreitung der französischen Kultur bei. Im 16. und 17. Jahrhundert erlebte sie in der Deutschschweiz eine Blütezeit. In Bern und Basel besuchte die lokale Elite ihre Gottesdienste, um ihre Kenntnisse der französischen Sprache zu vervollkommnen.

Die Kultur der französischen «Paroisse» faszinierte auch Niggi Ullrich, Kirchenrat der reformierten Kirche Baselland. Er lernte die Eglise française als Kind durch seine Grosseltern kennen, die Anfang des 20. Jahrhundert aus der Waadt nach Basel kamen. Sie pflegten engen Kontakt zur Eglise. «Ein Teil der reformierten Sozialisierung fand bei mir in der Eglise in Basel statt», erzählt Niggi Ullrich. Ihre Anlässe – etwa den jährlichen Basar, die «vente», für gemeinnützige Zwecke – und den Ablauf der Gottesdienste erlebte er anders als in der Kirchgemeinde seines Baselbieter Wohnorts Binningen-Bottmingen. «Sie gaben dieser Gemeinde etwas Geheimnisvolles.» Das Gemeinschaftliche hatte in der Eglise eine besondere Bedeutung, weil sie sich in der Diaspora befand.

Mit der chemischen Industrie verbunden
Niggi Ullrichs Grossvater betrieb eine der ersten chemischen Kleiderreinigungsfirmen in der Schweiz und gehört damit zu den Mitbegründern der chemischen respektive Textil-Industrie in Basel. «Der Pfarrer der Eglise kam so oft bei meinen Grosseltern zum Mittagessen, dass ich glaubte, dies gehöre zu seinen Aufgaben», erinnert sich Ullrich. Bis anfangs der 70er-Jahre, als sich die Pharmaindustrie amerikanisierte, sei die welsche und die französische «paroisse» in Basel von besonderer gesellschaftlicher und kultureller Bedeutung gewesen.

Heute sieht sich die Eglise française als «älteste Migrationskirche». Viele ihrer Mitglieder stammen aus dem französischsprachigen Afrika. Die Eglise ist im Rahmen der Partnerschaft mit der Kirche Baselland dem Ressort «Weltweite Kirche» zugeteilt. Die Baselbieter Kirche unterstützt sie mit einem jährlichen Beitrag, «als Wertschätzung für die jahrelange kulturell-reformierte Verbundenheit», so Niggi Ullrich.

Karin Müller, Toni Schürmann, kirchenbote-online

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