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«Heute ist es schwieriger, Muslim zu sein als Kosovo-Albaner»

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28.04.2016
Am Mittwoch sprachen in Zürich drei illustre Gäste über Religion und Medien. Man war sich einig: Vor allem der Islam wird in den Medien häufig mit Gewalt in Verbindung gebracht.

Trotz angekündigtem Schneegestöber kamen gut siebzig Personen zur Podiumsdiskussion in die frühere Paulusakademie in Zürich-Witikon. Eingeladen waren Patrik Ettinger, Medienwissenschaftler an der Universität Zürich, die SRF-Religionsredaktorin Judith Wipfler und der Journalist Yves Kugelmann, Redaktor bei der Zeitschrift «Tachles». Das Podium, das der Direktor der Paulusakademie, Hans-Peter von Däniken, moderierte, war der letzte Anlass zur Veranstaltungsreihe «Religion ohne Gewalt?» Kugelmann meinte zu Beginn, heute sei es schwieriger, Muslim zu sein als Kosovo-Albaner. Wipfler sagte, dass nie von einem christlichen Straftäter die Rede sei, bei muslimischen Tätern werde aber oft die Religion angegeben. Damit wurde klar, dass es in der Diskussion vor allem um den Islam in den Medien gehen würde.

Islam auf Gewalt reduziert
Man war sich einig, dass in vielen Medien einseitig Religion und Gewalt in Verbindung gebracht werden. Insbesondere, wenn es um den Islam gehe, sei diese Tendenz feststellbar. Die Podiumsteilnehmenden gaben unterschiedliche Gründe dafür an. Ettinger erwähnte, dass erst nach 9/11 der Islam Thema in den Medien wurde. Dann jeweils im Kontext von kriegerischen Konflikten, Terroranschlägen und Unruhen. In welchem Zusammenhang über die Religion berichtet wird, spiele eine wichtige Rolle, ob die Berichterstattung negativ oder positiv ausfällt.
Wipfler machte auf eine religionswissenschaftliche Studie aufmerksam, für die man Zeitungsartikel im «Blick» und in der «NZZ» ausgewertet hatte. Insgesamt wurden 54 Prozent negative, 34 Prozent positive und nur 12 Prozent neutrale Berichterstattungen zum Thema Islam gefunden. Je länger über den Islam berichtet wird, bestätigte Ettinger, desto grösser wird die Zahl der pauschalisierenden Aussagen.
Ein Grund dafür seien auch die knapper werdenden Ressourcen der Journalisten. In immer schnelleren Abständen müssen neue Texte produziert werden. Wer im Newsroom einer Tageszeitung sitze, müsse jeden Tag zu einem neuen Thema schreiben. Da bleibe das fundierte Recherchieren oft auf der Strecke.

Keine Spezialisten mehr
Wipfler und Kugelmann bemängelten, dass es in den Redaktionen der Leitmedien meist keinen Spezialisten für Religion mehr gebe. Deswegen sei häufig auch fehlendes Wissen die Ursache für einseitige, zu vorsichtige oder sogar falsche Berichterstattung. Gemäss Kugelmann würden immer häufiger Social Media als Quelle hinzugezogen. Dort werde aber besonders undifferenziert, emotional und pauschalisierend zu religiösen Themen diskutiert.
Einig waren sich alle auch darin, dass die Medien einen grossen Einfluss darauf haben, wie eine Minderheit im Land wahrgenommen wird. Wie kommt es, dass eine Religion zum bezeichnenden Merkmal einer Zuwanderungsgruppe wird? Noch Anfang der 90er-Jahre, als die Kosovo-Albaner in die Schweiz kamen, definierte sie niemand als Muslime, denn ihre Nationalität war das entscheidende Merkmal, so Ettinger.

Minarett-Initiative «verpennt»
Abstimmungskampagnen hätten die Situation entscheidend geprägt. So zum Beispiel 2004, als die Vorlage der erleichterten Einbürgerung abgelehnt wurde. Zum ersten Mal wurden mit der Vorstellung einer Islamisierung Ängste geschürt.
Ein weiteres prominentes Beispiel ist die Minarett-Initiative. Der Umgang der Medien mit ihr wurde danach wissenschaftlich untersucht. Dass in den Medien zunächst fast gar nicht darüber berichtet wurde, dürfte massgeblich zum Resultat der Abstimmung beigetragen haben. Niemand rechnete damit, dass die Initiative eine Chance habe, und so wurde das Thema zunächst den Parteien überlassen. «Die Medien haben es komplett verpennt», kommentierte Wipfler.

Der Umgang mit Minderheiten
Für Kugelmann hat die Schweiz generell ein Problem mit dem nicht-christlichen Fremden. Das sei nicht erst so, seit Muslime aus Ex-Jugoslawien zugewandert seien. Die Schweiz müsse sich grundsätzlich überlegen, wie man mit Minderheiten umgehe.
Die Frage wird die Schweizer Bevölkerung in der Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative erneut beantworten müssen. Es scheint, dass die Medienschaffenden etwas aus früheren Erfahrungen gelernt haben. Die Durchsetzungsinitiative wird zurzeit breit thematisiert und die problematischen Folgen einer Annahme aufgezeigt.

Nathalie Dürmüller / ref.ch / 5. Februar 2016
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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