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Alle Christen sind zugleich Bürger

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13.12.2021
Im letzten Jahr machten sich Hilfswerke und Kirchgemeinden für die Konzernverantwortungsinitiative stark. Einigen Politikern ging dies zu weit und sie fordern Konsequenzen. Ein Podium ging der Frage nach, ob Kirchen politisieren dürfen.

Herbst 2020: Der Abstimmungskampf über die Konzernverantwortungsinitiative KVI tobt. Auch die Hilfswerke, Landeskirchen und rund 600 Kirchgemeinden und Pfarreien empfehlen die KVI zur Annahme. Als an der Pauluskirche in Bern ein zehn Meter langes, oranges Stoffbanner vom Jugendstilturm weht, erhitzt dies zusätzlich die Gemüter. Die Abstimmung endet äusserst knapp, die Befürworter erreichen mit 50,7 Prozent ein knappes Volksmehr, scheitern jedoch am Ständemehr.

Doch der Kampf geht auf der politischen und juristischen Ebene weiter. Die Jungfreisinnigen reichen beim Bundesgericht eine Klage gegen die Kirchen ein, diese hätten in unzulässiger Weise in den Abstimmungskampf eingegriffen. Die Richter erklären die Beschwerde als gegenstandslos. In mehreren Kantonen lancieren Freisinnige zudem Vorstösse gegen die kirchliche Besteuerung von Unternehmen. Der Zürcher Ständerat Ruedi Noser verlangt in einer Motion, dass NGOs die politisch agieren, nicht mehr steuerbefreit werden. Das Polit-Forum Bern wollte Klarheit schaffen und lud Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und der Politik zur Diskussion ein. Die Frage des Podiums war simpel: Wie gross und laut darf das politische Engagement der Kirchen sein? Die Antwort fiel differenziert aus.

Pfarrschaft machte Stimmung
Die Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter beschäftigt sich nach eigenen Angaben seit Jahren mit der Entwicklungszusammenarbeit. Für sie löste die KVI keine Probleme. Das Engagement der Kirchen sei nicht demokratisch abgestützt gewesen, bemängelte sie. Schneider-Schneiter warf vor allem der Pfarrschaft vor, Stimmung für die Initiative gemacht zu haben, während das Kirchenvolk anderer Meinung gewesen sei. Für die Politikerin, die im Vorstand von Economiesuisse sitzt, steht fest: die Kirchen dürfen sich nicht mit Steuergeldern in den Abstimmungskampf einmischen.

Juristische Personen sollen keine Kirchensteuer bezahlen
In die gleiche Kerbe schlug auch Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz. «Die Kirche ist keine politische Ersatzpartei des Himmels», argumentierte er. Er sei erstaunt, mit welcher Vehemenz die Kirchen die Kampagne unterstützten. Das entspreche nicht dem öffentlich-rechtlichen Charakter der Kirchen. Die Jungfreisinnigen fordern die vollständige Trennung von Kirche und Staat, juristische Personen sollen keine Steuern mehr zahlen. «Die Kirchen sollen sich auf ihre Kernaufgabe fokussieren, die Seelsorge und die Betreuung der Alten», erklärte Matthias Müller.

Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, räumte ein, dass das heftige Engagement der kirchlichen Akteure für Missverständnisse sorgte, viele Kirchenmitglieder fühlten sich moralisch verurteilt. Das Banner am Kirchturm ging auch Famos zu weit, die Beflaggung der Kirchenräume sei kein guter Entscheid gewesen. Rita Famos wies darauf hin, dass zahlreiche Kirchgemeinden Podien zur KVI durchführten: «Die Kirche bietet Reflexionsräume für solche Fragen, jeder Christ und jede Christin geht dann jedoch selber zur Urne.»

Bürger und Christ
Für Rita Famos ist es selbstverständlich, dass sich die Kirchen aus christlicher Position in die politische Diskussion einbringen. «Jeder Christ und jede Christin ist zugleich Bürger.» Verkündigung und Diakonie könne man nicht trennen. Jede Verkündigung müsse sich im Sozialen niederschlagen. Und wenn Diakonie und Seelsorge auf strukturelle Probleme und Ungerechtigkeiten stiessen, müssten sie diese auch ansprechen. «Was nützt es, wenn Hilfswerke Brunnen graben und man anderswo das Wasser ableitet?»

Vehement wies auch Bischof Felix Gmür die Vorwürfe zurück. Der Bischof und die Pfarreien seien nicht öffentlich-rechtlich anerkannt und er sei deshalb frei, zu sagen, was er will. «Die Kirchen haben einen Stiftungsbrief, die Heilige Schrift, an die sollten sie sich halten.» Die Bischofskonferenz habe nie die Ja-Parole herausgegeben. Für Gmür führt die rechtliche Einordnung nicht weiter. Der Staat müsse sein Verhältnis zu den Kirchen klären. Und die Seelsorger müssten sich überlegen, wie sie sich in die politische Diskussion einbringen wollen und ob dies der Heiligen Schrift entspricht.

Was dies konkret bedeutet, werde der nächste politische Vorstoss zeigen, meinte Matthias Müller. Bald werde die Schweiz über die Gletscher-Initiative abstimmen.

Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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