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«Wir haben eine Chance gesehen und sie wahrgenommen»

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16.12.2021
In Bern entsteht ein neues Quartier. Geplant ist ein Begegnungsort in einem Restaurant ohne Konsumationszwang. Wieso sich die Kirche daran beteiligt, erklärt Pfarrer Christian Walti im Interview.

Im Februar 2022 soll es soweit sein: In der neuen Siedlung «Holliger», die auf der Baubrache der ehemaligen Kehrichtverbrennung beim Warmbächliweg in Bern entsteht, eröffnet das Restaurant «Dock8». Das Restaurant bietet Essen und Trinken, kennt aber keinen Konsumzwang. Computer, Drucker, Internet und Toiletten stehen allen gratis zur Verfügung. Der inklusive Betrieb organisiert Veranstaltungen und Anlässe. Neben dem Restaurant gehören zum Gemeinschaftsprojekt das Büro für Wohnbegleitung und Sozialberatung des gemeinnützigen Vereins «Wohnenbern» sowie Arbeitsplätze der Sozialdiakonie der Kirchgemeinde Frieden und der Katholischen Kirche Region Bern. Hier werden Personen von Montag bis Freitag beraten.

Wieso beteiligt sich die Kirche am Restaurant «Dock8»?
Christian Walti:Wieso sollte sie nicht? Unter den Sozialpartnern sind wir als Kirchgemeinde am längsten im Quartier präsent. Wir wissen nicht nur, was die Quartierbevölkerung umtreibt, sondern haben auch ein riesiges Netzwerk. Dieses war für die Planung sehr nützlich. Hinzu kommt: unsere Arbeit ist – anders als beim Sozialdienst – nicht an eine bestimmte Tätigkeit gebunden. Vielmehr ist unser Tun vom Inhalt her definiert. Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt. Wir begleiten und ermöglichen Gemeinschaft. Dieser Ansatz beinhaltet, neue Arbeitsfelder zu schaffen. Genau dies ist hier, wo ein neues Stadtquartier entsteht, geschehen.

Das Restaurant plant im Februar zu öffnen. Seit Mittwoch läuft ein Crowdfunding zur Finanzierung eines Teils des Projektes. Ist Ihnen das Geld ausgegangen?
In der Tat sind wir mit dem Geld für den Ausbau knapp dran. Die Startfinanzierung gestaltete sich sehr schwierig. Aber dies ist nicht der einzige Grund, weshalb wir uns für diese Art der Finanzierung entschieden haben. Wir wollen einen Ort schaffen, zu dem Menschen einen Bezug haben. Wenn uns jemand mit 120 Franken unterstützt, wird sein Name auf einem schwarzen Bistrostuhl eingraviert. So stellen wir das Inventar an Tischen und Bänken zusammen. Wir möchten, dass die Menschen von Anfang an sagen, «wir sind Teil vom Dock8».

Sie haben einmal gesagt, es brauche andere neue Zugänge, um als Kirche Menschen zu erreichen. Wäre dieses Projekt ein solcher anderer Zugang? Schliesslich entstehen im Warmbächli Wohnungen für etwa 1000 neue Quartierbewohnende.
Das Hauptziel bei «Dock8» ist nicht, Menschen in die Kirche zu bringen. Wir gehen dorthin, wo die Menschen wohnen und bieten ihnen Beratung und Animation an. Wir wollen als Kirche die Menschen dabei unterstützen, ein Gemeinwesen aufzubauen und selber ein Teil des Gemeinwesens werden.

Wie unterscheidet sich «Dock8» von anderen kirchlichen Gastronomiebetrieben?
Wir sind die erste reformierte Kirchgemeinde, die mit zwei anderen Institutionen auf Augenhöhe ein Gastroprojekt von Grund auf entwickelt hat. Diese Mischung ist einmalig. Das Restaurant betreibt der Verein «Wohnenbern». Die reformierte Kirchgemeinde wird im «Dock8» Untermieterin. So werden wir Veranstaltungen im Restaurant durchführen. Wir werden das Catering auch für Gemeindeanlässe buchen. Zudem werden wir ein gemeinsames Büro für Sozialberatung haben. Da bündeln sich Kompetenzen, die den Menschen zu Gute kommen, die uns aufsuchen: Unsere Kirchgemeinde kennt sich in den Themen Migration und ergänzende Sozialhilfe aus, der Verein «Wohnenbern» ist Experte für die Probleme von Menschen in prekären Lebenssituationen. Und die katholische Kirche bringt ihre Fachkenntnis im Thema Nachhaltigkeit ein.

Auch ein Kulturprogramm ist geplant.
Genau, und auch dieses verantworten die drei Trägerorganisationen gemeinsam.  Es sind grössere Veranstaltungen wie das monatliche Pubquiz, Veranstaltungen vom Netzwerk Nachhaltigkeit der katholischen Kirche Region Bern, Lesungen, Ausstellungen oder Konzerte geplant.

Wird «Dock8» zum neuen Kirchgemeindehaus, wenn andere Liegenschaften in ein paar Jahren verkauft werden?
Es ist mir wichtig zu betonen: Wir schaffen hier nicht ein neues Kirchgemeindehaus, das aussieht wie ein Kaffee. Sondern wir sind ein Kooperationsprojekt für Sozialberatung, Gemeinschaftsbildung und Raumnutzung. Das Projekt «Dock8» ist keine Sparübung der reformierten Kirchgemeinde. Wir haben eine Chance gesehen und sie wahrgenommen.

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit den Katholiken in diesem Projekt?
Die Ökumene ist essenziell für unsere Arbeit. Unsere Kirchgemeinde arbeitet nach dem «Prinzip von Lund»: Neue Projekte sind bei uns immer ökumenisch oder sogar interreligiös. Andere Projekte würden wir gar nicht erst angehen.

Letzte Frage, das Restaurant bezeichnet sich als inklusiv. Was muss man sich darunter vorstellen?
Die von «Wohnenbern» betreute Menschen würden in gewöhnlichen Immobilien keine Wohnung erhalten. Viele haben eine Zeit lang auf der Strasse gelebt oder sind suchtkrank. Im «Dock8» dürfen sie sich ohne Konsumationszwang aufhalten. Einige erhalten hier subventionierte Menüs von der Speisekarte. Niemand muss sich hier als «bedürftig» outen. Ausserdem werden in der Küche Integrationsarbeitsplätze angeboten. Das Kursangebot der Kirchgemeinde Frieden ist auf Menschen mit Migrationshintergrund ausgelegt. Schliesslich finden Anlässe für Bewohnerinnen und Bewohner des alten und des neuen Quartiers statt. Wir bringen also auch verschiedene Milieus und Altersgruppen im «Dock8» zusammen.

Nicola Mohler, reformiert.info

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