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Moralisch legitim, aber immer hochproblematisch

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08.02.2022
Tierversuche sind grausam. Sollen sie verboten werden? Was ein Theologie-Professor dazu sagt und welche Hintergründe im Tierschutz christlich sind.

Keine Tier- und Menschenversuche mehr in der Schweiz – und auch keine Ein- und Ausfuhr von Produkten, die so entwickelt wurden: Das will die Tierversuchsinitiative, über die am 13. Februar abgestimmt wird. Moralisch scheint sie auf den ersten Blick einsichtig: Dürfen wir uns so über die Tiere erheben, dass wir sie mutwillig grossen Leiden aussetzen – bloss damit Menschen (hoffentlich) künftig weniger leiden müssen?

Mathias Wirth sagt grundsätzlich ja – allerdings mit Bedingungen und detaillierten Erklärungen. Der Assistenzprofessor für systematische Theologie und Ethik an der Uni Bern erläutert, Tierversuche könnten als moralisch notwendig bezeichnet werden – wenn keine Alternativen und die Aufmerksamkeit da sind, dass es objektiv unmoralisch ist, Tiere als empfindsame Wesen, die unbeeinträchtigt leben möchten, «physisch und psychisch negativ zu betreffen».

Die Verpflichtung in der Hilfsgemeinschaft
«Wir Menschen leben in einer besonderen Hilfsgemeinschaft miteinander», führt Wirth aus. Wer schon einmal dringende Hilfe brauchte für sich oder einen nahestehenden Menschen, kenne das Gefühl der Erleichterung, wenn diese Hilfe eintrifft – nicht nur bei einem Unfall, sondern auch bei schweren Krankheiten. Das Problem sei die Knappheit von Zeit und Mitteln. Der Theologe nennt einen Vergleich: «Wenn Sie an einem Gewässer stehen, mit nur einem Rettungsmittel, und beobachten, wie gleichzeitig ein Kind und ein Hund ertrinken, sind Sie rechtlich und moralisch wohl dazu verpflichtet, das Kind zu retten. Es wäre für die meisten empörend, wenn Sie anders handelten.»

Das sage nichts über die Schutzbedürftigkeit des Hundes an sich. Und wir täten sicher auch gut daran, traurig zu sein, dass dem Tier nicht geholfen werden konnte, betont Mathias Wirth. «Doch in unserer Hilfsgemeinschaft können wir uns dem Anspruch nicht einfach entziehen, unserer vielleicht schwer erkrankten Freundin oder dem eigenen Kind zu helfen.» Damit würden wir eine wesentliche Bestimmung des guten Lebens auflösen, sagt Wirth: Gerade denen so effizient wie möglich zu helfen, die leiden und von denen wir erwarten dürften, dass sie im umgekehrten Fall ebenso verfahren.

Nutzung und ihre moralischen Probleme
Den «moralischen Status» von Tieren bezeichnet der Theologe als «grundsätzlich sehr hoch» – und zwar besonders wegen ihrer Leidensfähigkeit und offensichtlichen Nähe zu uns Menschen. Anderseits lebten wir in einer Kultur, in der Tiere behandelt werden, als hätten sie keine Würde: Wir Menschen nutzen sie, züchten sie, handeln und essen sie. So gesehen biete eine Nutzung von Tieren, die sich mit ihren Interessen überschneidet, wirklich moralische Probleme – «ausser in den Fällen erwartbarer klinischer Relevanz und in Fällen, in denen eine Ernährung mit veganen Proteinen aus medizinischen Gründen nicht oder nur teilweise möglich ist».  

Kurz gefasst, stellt sich der Theologe Mathias Wirth auf den Standpunkt: «Obwohl der klinische Tierversuch unter den momentanen Gegebenheiten moralisch legitim sein kann, bleibt er hochproblematisch.» Und er bezieht sich noch einmal auf das Beispiel des ertrinkenden Kindes und Hundes. Es wäre fatal, den Blick nur aufs ertrinkende Kind zu richten und alles andere auszublenden. Wirth erachtet es als wichtig: «Man sollte sich nicht daran gewöhnen müssen, dass Tiere leiden.» Denn nur so werde auch Simulationsforschung weiterbetrieben und investiert in digitale Tiermodelle, die schliesslich immer weniger Tierversuche nötig machen sollten.

Marius Schären, reformiert.info

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