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«Die Bibel bewahrt das Gedächtnis von Krise auf»

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27.02.2022
Die Baselbieter Kirche zieht lehrreiche Erkenntnisse aus ihren Umfragen zur Corona-Krise. Nun gilt es, diese für die Zukunft fruchtbar zu machen, unabhängig von der aktuellen Pandemie.

Das Corona-Virus hat das kirchliche Leben auf den Kopf gestellt: Abdankungen mit abgezählten Trauernden, Gottesdienste per Streaming, keine Mittagstische und Seniorennachmittage, keine Besuche in Altersheimen und Spitälern. Vieles, was zu den Kernaufgaben der Kirche zählt, war plötzlich nicht mehr wie bisher möglich. «In einer schwierigen Zeit, in der gerade die Seelsorge umso mehr gefragt war, mussten die Kirchgemeinden und Pfarrämter Wege finden, trotzdem für die Menschen da zu sein. Dass man sich heute immer noch in der Pandemie befinde, konnte man sich damals schwerlich vorstellen», sagt Roland Plattner, Leiter der Stabsstelle Kirchen- und Gemeindeentwicklung.

Die Krise veranlasste die reformierte Kirche Baselland im Herbst und Winter 2020/2021 zu einer Umfrage bei den Kirchenpflegen, den Mitarbeitenden, den Synodalen und einer zweiten Umfrage bei den Mitgliedern. Der Kirchenrat wollte wissen wie diese die Monate der Lockdowns erlebt haben, wie sie mit der Situation umgegangen sind, welche Erfahrungen sie gemacht haben und welche Lehren die Kirche daraus ziehen kann.

Auseinandersetzungen auch in der Kirche
Die Auseinandersetzung um die Schutzmassnahmen, die viele direkte menschliche Kontakte erschwerten oder gar verhinderten, machte auch vor der Kirche nicht halt. «Es hat sich deutlich gezeigt, wie volkskirchlich wir aufgestellt sind», sagt Matthias Plattner. «Bei uns finden sich bis in die Kirchgemeinden und ihre Gremien und Teams alle Meinungen, von ‘Regierungstreuen’ bis zu ‘Querdenkern’. Dass man nun seit über zwei Jahren trotzdem miteinander arbeiten kann, hat eine grosse Anstrengung verlangt, insbesondere von denjenigen, die vermittelt haben.»

Die Pandemie habe gesellschaftliche Trends befeuert, erklärt Roland Plattner. Er beschreibt die Entwicklung, etwa der Digitalisierung, unter dem Stichwort «zehn Jahre in zehn Tagen». Mittlerweile habe sich der Umgang mit Streaming sowie Zoom und Co. normalisiert, sagt Kirchenrat Pfarrer Matthias Plattner, der das Departement Gemeindeentwicklung und Erwachsenenbildung betreut. «Wir sind auf dem Weg, eine gute Balance zu finden zwischen Präsenz- und digitalen Veranstaltungen.» Mit gestreamten Gottesdiensten erreiche man ein grösseres Publikum und viele, die sonst keinen Sonntagsgottesdienst besuchen. Manchmal habe der Livestream zehn Zuschauer, am nächsten Morgen jedoch zählte er 120 Klicks, so Matthias Plattner. Einige hörten sich die Predigt an, andere die Musik und Heimwehbaselbieter im Ausland freuen sich darüber, wieder einmal in «ihrer» Gemeinde zu Gast zu sein. Das «On-Demand»-Angebot finde Anklang, so das Fazit des Kirchenrats: «Das eröffnet neue Möglichkeiten der Vernetzung in einer mobilen und hybrid tickenden Welt. Mir liegt es am Herzen, dieses Netzwerk zu pflegen und gleichzeitig selbstbewusst die physische Nähe zu den Menschen vor Ort zu behalten.»

Zusammenarbeit mit Behörden
«Die Kirchgemeinden werden älter, kleiner und bescheidener, und es besteht die Gefahr, dass sie sich bewusst oder unbewusst von der Welt abgrenzen und in die eigene Blase zurückziehen», sagt Matthias Plattner. Die über Jahrhunderte gepflegten Kontakte mit den Bürger- und Einwohnergemeinden würden so gekappt. Die Pandemie verlieh der Zusammenarbeit mit den politisch Verantwortlichen einen neuen Schub. «Die Kirchgemeinden und die Einwohnergemeinden mussten sich absprechen, etwa über die Schutzmassnahmen bei Bestattungen und Trauerfeiern», erzählt Matthias Plattner.

Schon vor der Pandemie planten die reformierte und die katholische Kirche, auf die Baselbieter Behörden zuzugehen. «Es gibt verschiedenste Berührungspunkte, etwa in den Bereichen Jugend, Alter, Familie, Soziales oder Kultur, aber auch Sicherheit, Umwelt, Arbeit und Wirtschaft sowie Bildung. Wir sind gemeinsam gefordert und denselben gesellschaftlichen Megatrends unterworfen», betont Roland Plattner. Die drei Landeskirchen haben das Konzept «Einwohnergemeinden und Kirchgemeinden. Miteinander.» erarbeitet und Ende letztes Jahr dem Verband Basellandschaftlicher Gemeinden vorgestellt. Eine weitere Zusammenarbeit ergab sich, als sich die psychosozialen Auswirkungen der Pandemie zeigten. Der Kanton lud auch die Kirchen zu einem Runden Tisch ein, um die Institutionen zu vernetzen.

Alte Zeiten nicht verklären
Eigentliche Überraschungen habe die Umfrage nicht geliefert, meint Roland Plattner. Sie habe jedoch vieles bestätigt. «Das gibt eine zusätzliche Legitimation, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Es ist an uns, dafür zu sorgen, dass daraus etwas Nachhaltiges entsteht. Wir dürfen jetzt nicht wieder zur alten Tagesordnung übergehen, wenn sich ein Ende der Pandemie abzeichnet.»

Das sieht auch Matthias Plattner so: «Die Frage ist nun, wie gross in der romantischen Verklärung die Sehnsucht nach der alten Normalität ist.» Der Kirchenrat betrachtet die Krise als Chance: «Eine 2000-jährige Institution wie die Kirche ist eher schwerfällig unterwegs. In den letzten zwei Jahren sind Veränderungen geschehen, für die es sonst wohl eine ganze Generation gebraucht hätte.»

Der Kirchenrat möchte, dass die Corona-Lehren sich in konkreten Zielen und Massnahmen niederschlagen. «Man muss es aber den Kirchgemeinden überlassen, das umzusetzen, was sie für richtig und wichtig halten. Die Kantonalkirche kann ihnen mit Kommunikation, Motivation und Weiterbildung zur Seite stehen, die Corona-Learnings am Leben erhalten und sie in den Legislaturzielen angemessen einfliessen lassen», erklärt Matthias Plattner.

Nicht jedem Trend nacheifern
Doch die beiden Plattners warnen davor, jedem Trend nachzueifern. «Wir müssen uns auf unsere Kernaufgaben zurückbesinnen, unabhängig von Corona, denn auch andere Ereignisse können Krisen auslösen, die für gewisse Entwicklungen als Katalysatoren wirken», meint Roland Plattner. «Wir haben das Privileg, eine heilige Schrift zu haben», betont Matthias Plattner. «Die Bibel bewahrt das Gedächtnis von Krise auf. Wir können bis zu Moses und dem Exodus zurückschauen, oder von Jeremiah im Exil bis zu Jesus, den Römern und den Christenverfolgungen. Das alte Wissen, dass und wie wir uns mit Gott- und Menschenvertrauen sowie Diakonie in der Krise halten und beweisen können, hilft bis heute.»

Karin Müller

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