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«Wir wissen nicht, was wir unter Seele verstehen»

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27.02.2022
Ist der Mensch tot, wenn das Hirn nicht mehr funktioniert? Ab wann ist der Embryo ein Mensch? Der Ethiker und Theologe Markus Zimmermann über existentielle Grenzerfahrungen und moralische Kontroversen.

Das ökumenische Forum Ethik und Gesellschaft Muttenz widmet sein Jahresprogramm unter dem Titel «Wann ist ein Mensch ein Mensch? Vom Anfang und dem Ende» den schwierigen Entscheidungen, die oft mit dem Lebensanfang und -ende verbunden sind. Es geht um Fragen, die nicht nur die Theologie, sondern auch die Medizin, Ethik, Philosophie und Psychologie betreffen: Was macht einen Menschen aus? Worin liegt sein oder ihr Menschsein begründet? Von welchem Zeitpunkt an und wie lange ist ein Mensch ein Mensch?

Den Anfang der Vortragsreihe machte im Februar in der katholischen Kirche Muttenz Markus Zimmermann. In seinem Referat beschäftigte er sich mit schwierigen Grenzziehungen aus ethischer Sicht. Der katholische Theologe lehrt an der Universität Fribourg und ist Vizepräsident der Nationalen Ethikkommission.

«Bei Entscheidungen um Leben und Tod am Anfang und am Ende des Lebens, geht es um existentielle Grenzerfahrungen, sie zeigen uns Menschen, was uns zu Menschen macht, wir kennen den Verlauf der Grenzen nicht, können sie nicht kennen, die damit verbundenen Entscheidungen sind ebenfalls existentiell und damit nicht eindeutig richtig oder falsch. Wir sind keine Roboter», sagte der Theologe. Er zeigte auf, wie schwierig es ist, zu bestimmen, wann das menschliche Leben beginnt und wann es endet. «Wir wissen weder, wie die Seele in den Menschen kommt noch wie sie ihn verlässt. Wir wissen nicht einmal, was wir unter Seele verstehen», betonte Zimmermann, «eine Antwort gibt es nicht».

Der «Lebensanfang» sei von der Ethik her zu betrachten und unterscheide sich vom metaphysischen «Ursprung», ebenso wie das «Lebensende» sich vom religiösen «Eschaton» (griech.: das Letzte) unterscheide, der eine existentielle Bedeutung hat, erklärte Zimmermann. Manchmal würden die zeitlichen Ebenen vom Anfang und Ende vermischt mit der überirdischen, etwa bei Nahtoderfahrungen. Doch über das, was vor der Geburt und nach dem Tod sei, könne man ausser der Beschreibung der biologischen Prozesse nichts Sinnvolles sagen. Die Antwort auf die Frage, wann ist ein Mensch ein Mensch, habe jedoch eine Auswirkung auf Gesellschaft, Wissenschaft, Medizin und Politik.

Eine abgründige Frage
Der moralische Status von Embryonen und Föten werde seit Jahrhunderten diskutiert, so der Ethiker. Es handle sich um eine abgründige Frage, die nach dem Ursprung zielt, die man aber pragmatisch beantworten müsse, etwa bei den Themen Embryonenforschung, Schwangerschaftsabbruch oder Organentnahme. Die Kontroverse, die wir zur Frage des Lebensanfangs führen, gelte auch für das Lebensende, etwa für das Hirntod-Konzept, welches die Organentnahme möglich macht: Ohne Hirn kann man nicht leben. Für den Ethiker stellt sich hier aber die Frage, ob der ganze Mensch tot ist, wenn sein Hirn ausfällt und die anderen Organe nur mit Hilfe von Maschinen funktionieren. Und wie steht es mit Herzschrittmachern? Ohne sie setzt das Herz aus.

Zudem gibt es bei den Vorstellungen zum Lebensanfang und -ende bedeutende traditionell religiös-kulturelle Unterschiede. Diese hätten bis heute, etwa auf die Embryonenforschung und Präimplantationsdiagnostik sowie die Organspende, grossen Einfluss, sagte Zimmermann. Während die Juden glauben, dass der Embryo bis zum 40. Tag entsteht und noch nicht beseelt ist, entsteht für die meisten Christen das Leben mit der Befruchtung. In Israel kenne man darum kaum moralische Vorbehalte gegen die Embryonenforschung. Andererseits entnehmen die Mediziner bei uns sofort nach dem Tod Organe, während es etwa in Japan praktisch keine postmortale Organspende gibt, weil man dort glaubt, dass es lange dauert, bis die Seele den Körper verlässt. Die Organe kann man dann nicht mehr verwenden.

Markus Zimmermann kam zum Schluss, dass wir das Existentielle verdrängen, weil es unverfügbar ist, weil wir es uns nicht zu eigen machen können. Er plädiert dafür, sich berühren und verändern zu lassen, ohne zu wissen, was geschieht.

Karin Müller

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