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Ein Drittel der Kirchenmitglieder flieht

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02.03.2022
Auch reformierte Christinnen und Christen sind in der Ukraine vom Krieg direkt betroffen. János Héder, der stellvertretende Bischof der ungarischsprachigen Reformierten Kirche in Transkarpatien, schilderte am Dienstagabend, 1. März die aktuelle Lage in der Westukraine im Telefongespräch mit Karin Kaspers Elekes: Die Pfarrerin im Kanton Thurgau pflegt aufgrund eines Partnerschaftsprojekts in der Westukraine gute Beziehungen in der Region und steht täglich mit den Verantwortlichen in Kontakt.

«Von Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen ist auch hier im Westen der Kriegszustand ausgerufen. Das bedeutet auch, dass alles ohne Ausnahme für das Gemeinwohl nutzbar gemacht werden kann, so z. B. auch Gebäude, Wohnungen, Fahrzeuge», beschreibt János Héder die aktuelle Lage. «Hier bei uns gibt es noch keine Ausgangssperre. In den anderen Landesteilen darf niemand von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr auf die Strasse gehen. Verstösse können das Leben kosten.»

Lebensmittel werden knapp

«Auf dem Markt in Ungvar/Ushgorod haben heute nur zwei von dreissig Ständen, die Fleisch zum Kauf anbieten, geöffnet», berichtet János Héder von der Situation in der Stadt, in der er als Pfarrer arbeitet. Er ist perfekt zweisprachig und betreut neben der ungarischsprachigen auch eine ukrainischsprachige reformierte Kirchgemeinde, die sich gegründet hat. «Mehl, das inzwischen wie Nudeln und Zucker rationiert ist, ist nicht mehr zu haben. Die Lieferungen werden in den Osten des Landes umgeleitet. Importobst gibt es keins mehr.»

Fliehen oder Bleiben

Ungefähr eine Million Menschen hat die Ukraine bereits verlassen. Die meisten seien Frauen und Kinder. Männer hätten kaum eine Chance. Einige hätten heute versucht, über die zugefrorene Theiss zu fliehen, so János Héder. Es ist eine schwere Entscheidung, die Heimat zu verlassen. Eine Konfirmandin fragte ihn: «Wie sollte ich gehen und wohin? Wie sollte ich meine Möbel mitnehmen?» «Wir haben ihr geraten, sich vorzubereiten, damit sie mit ihrer Familie fliehen kann, wenn es sein müsste. Das Leben ist das wichtigste Geschenk. Das gilt es zu retten. Es war zu spüren, dass sie nicht wirklich bei sich war. Sie konnte und kann all das einfach nicht fassen.»

Kirchliche Gegenwart

Die Kirchgemeinden versuchen alles, um die Menschen seelisch zu stärken. Die Gottesdienste werden gefeiert und – wenn möglich – auch über Internet zugänglich gemacht. «Wir bereiten uns auf die Abendmahlfeiern am Sonntag vor», berichtet János Héder. «Alle Pfarrerinnen und Pfarrer tun ihren Dienst.» In den Kirchgemeinden aber sind vor allem ältere und Menschen mit Beeinträchtigungen zurückgeblieben. «Unsere Kirche hat bis heute ungefähr ein Drittel ihrer Mitglieder durch Flucht verloren», schätzt der stellvertretende Bischof. Mit bewegter Stimme erzählt er, dass Menschen in der Landgemeinde, die er am Sonntagnachmittag regelmässig zum Gottesdienst besucht, erzählten, dass Tiere in Ställen stünden, die sich selbst überlassen seien. «Niemand ist mehr da, der sie füttern und versorgen könnte.»

Ungewisse Zukunft

Über die Zukunft lässt sich zurzeit nichts sagen. «Bei Kriegsbeginn sind zwei Wochen Schulschliessung bekanntgegeben worden. Inzwischen sind viele Schulen zu Flüchtlingsunterkünften für Menschen aus dem Gebiet der Kriegshandlungen im Osten bereitgestellt worden. «Wir helfen, wo wir können. Den Flüchtlingen bieten wir warmen Tee, einen Ort zum Ausruhen und Unterstützung an. Niemand weiss, was in zwei Wochen sein wird. Niemand weiss überhaupt, welche Schülerinnen und Schüler dann noch da sein werden», so der Pfarrer, der sich um die Menschen im Osten des Landes sorgt. «Was können wir tun? Wir beten. Für den Frieden.» So gibt es viele Friedensgebete in der Region, am Beginn der Woche auch ein ökumenisches. «Die Menschen sind sehr verunsichert. Angst war auch dort spürbar. Niemand weiss, wie dieser Krieg ausgehen wird», gibt János Héder zu bedenken, der anlässlich dieses Gebetes den 91. Psalm zitierte: «Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem HERRN: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.»

Verbundenheit schenkt Hoffnung

«Betet für den Frieden, dass der Krieg zu Ende kommt! Wir danken Euch für die Unterstützung, für die Aufnahme der Flüchtlinge», sagt János Héder, nach einer persönlichen Botschaft an die Lesenden gefragt. «Das ist ein Zeichen christlicher Verbundenheit und Haltung, so, wie Jesus es gesagt hat: «Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich bei euch aufgenommen. (Mt 25,35) Wenn Ihr so an uns denkt, dann ist das für uns ein Zeichen der Hoffnung», so der stellvertretende reformierte Bischof. 

Karin Kaspers Elekes