Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

«Der Sündenfall ist eine Erfindung»

min
22.04.2022
Die Theologin Helen Schüngel-Straumann und der Historiker Kai Michel haben sich eingehend mit Eva beschäftigt. Sie diskutierten, was es mit ihrer Schuld auf sich hat und welche Folgen die Geschichte bis heute hat.

Adam und Eva hatten das Paradies, bis Eva – von der Schlange verführt – in den Apfel vom verbotenen Baum biss und Adam dazu brachte, ebenfalls davon zu kosten. Der Rest ist Geschichte: Gott verbannte die Menschheit für immer aus dem Paradies und alle Frauen müssen für Evas Ungehorsamkeit büssen. Und noch immer müssen sie für gleiche Rechte kämpfen.

Ist Gott daran schuld, dass die Frau «dem Manne untertan» ist? Die katholische feministische Theologin Helen Schüngel-Straumann und der Historiker Kai Michel diskutierten in der reformierten Kirche Bottmingen über «Eva und die Schuld». Die bald 82-Jährige forscht seit langem über Eva und publizierte das Buch «Eva. Die erste Frau der Bibel: Ursache allen Übels?». Kai Michel, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet, schrieb zusammen mit dem Anthropologen Carel van Schaik den Bestseller «Die Wahrheit über Eva».

Der Sündenfall und die Erbsünde seien eine Irrlehre, eine Erfindung des «grossen Theologen und noch grösseren Frauenfeindes» Augustinus, stellte Helen Schüngel klar. Zudem gehe die Geschichte auf einen Übersetzungsfehler zurück und habe eine vollkommen andere Absicht. So bedeute Adam im Hebräischen nicht Mann, sondern Mensch und Eva bedeute Leben. Gott habe Eva verboten, die Frucht vom Baum zu essen. Wenn, sie nicht gehorche, müsse sie sterben. Die Schlange hingegen sage, Eva werde nicht sterben, wenn sie vom Baum isst, sie werde Erkenntnis gewinnen. «Die Schlange hat recht. Wie soll man das deuten?», fragte die Theologin. Im Alten Testament kämen die Begriffe Sündenfall und Erbsünde nicht vor.

Keine historischen Wahrheiten
«Wir suchen in der Bibel nicht historische Wahrheiten, sondern Erklärungen für grosse Probleme einer anderen Zeit. Die Berichte wollen Antwort geben auf Fragen, die die Menschen umtreiben. Diese werden nicht mit nüchternen Sätzen beantwortet, sondern mit dramatischen Geschichten», sagte Schüngel. In Genesis 2 werde das Ideal geschildert, der Mann soll sich freuen mit der Frau. Genesis 3 hingegen zeige, wie es zur Zeit des Verfassers gewesen sei: Die Schlange kriecht der Frau auf den Bauch, sie hat grosse Schmerzen bei der Geburt und ist dem Mann untertan. Der Mann muss auf dem Feld mühselige Arbeit verrichten. «Das sind Zustandsschilderungen, wie es um die Zeit vom 8. bis 6. Jahrhundert war», so Schüngel.

Frühe biblische Geschichten wie die Genesis versuchten die Welt zu erklären, sagte Kai Michel. Die Bibelautoren haben das Problem, dass sie alles mit einem einzigen Gott erklären müssen. Er hat die Welt erschaffen und dennoch ist sie ungerecht. Die Bibel versuche zu zeigen, wie das kam. «Der erste Schöpfungsbericht sagt, Frau und Mann sind gleich geschaffen, was aber nicht der patriarchalen Wirklichkeit entsprach. Die Erklärung dafür ist eine männliche Meisterleistung», meinte Michel: «Man schiebt den Frauen die Schuld in die Schuhe.» Eva ist selber schuld, weil sie Gott nicht gehorchte, und darum müssen alle Frauen nach ihr bestraft werden.

Kai Michel betonte: «Die Religion ist nicht die Erfinderin des Patriarchats, auch nicht der Monotheismus. Aber der Monotheismus erteilte dem Patriarchat sozusagen den göttlichen Segen.» Die patriarchale Gesellschaft, die wir heute als Norm kennen, sei über die gesamte Menschheitsgeschichte gesehen, eine Ausnahme. Um zu verstehen, warum Frauen immer noch um Gleichberechtigung kämpfen müssen, reiche es nicht, die letzten 5000 Jahre im Blick zu haben, man müsse mindestens 300 000 Jahre zurückschauen, als Männer noch nicht über Frauen dominierten. In den egalitären Gesellschaften der Jäger und Sammler hätten die Geschlechter ziemlich gleichberechtigt gelebt. Mit der Einführung des Ackerbaus konnten Einzelne grosse Reichtümer anhäufen und die Gesellschaften wurden ungerechter, darunter hätten auch viele Männer gelitten.

Karin Müller

Unsere Empfehlungen

Mitglied sein oder nicht

Mitglied sein oder nicht

Die digitale Grossgruppen-konferenz der Reformierten Kirche des Kantons Luzern hat sich innert kurzer Zeit zu einem nationalen Event etabliert. Über 200 Teilnehmende aus allen Regionen und Bereichen nahmen teil und diskutierten über das Mitgliedsein.
Den Wandel meistern

Den Wandel meistern

Am 30. April stimmen die Mitglieder der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt über die Totalrevision der Kirchenverfassung ab. Für deren Annahme braucht es eine Zweidrittelmehrheit.