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Holocaust-Geschichte(n) an einem historischen Ort

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28.06.2022
Die Ausstellung «The Last Swiss Holocaust Survivors» wurde im ehemaligen Ghetto im polnischen Krakau gezeigt – dem Ort des Films «Schindlers Liste». Eine Erkundung vor Ort.

Es ist der Tag vor Fronleichnam, ein Feiertag, an dem im katholischen Polen fast alles still steht. In Krakau sind an diesem Tag viele Leute unterwegs, Touristinnen und Touristen, Schulklassen, Einheimische, die noch letzte Einkäufe machen. Vor dem Eingang zum Schindler-Museum stehen die Besucherinnen und Besucher schon Schlange, bevor das Museum öffnet.

Oskar Schindler war ein deutscher Unternehmer, der jüdische Zwangsarbeiter, die in seiner «Deutschen Emailwarenfabrik» angestellt waren, vor der Vernichtung rettete. Taxis fahren vor, ab und zu ein kleiner offener Wagen, der Touristen durch das ehemals jüdische Viertel und das Ghetto fährt. Rund 2.5 Kilometer südlich von hier befindet sich das ehemalige Arbeits – und spätere Konzentrationslager Plaszow, die erste Leidensstation für viele Krakauer Jüdinnen und Juden – insbesondere nach Auflösung des Ghettos.

Direkt neben dem Schindler-Museum befindet sich das MOCAK, das Museum of Contemporary Art. Fast zwei Monate lang, bis zum 24. Juni, wurde in der Bibliothek des Museums die Ausstellung «The last Swiss Holocaust Survivors» gezeigt. Es sind grossformatige Schwarz-Weiss-Porträts von Menschen, die während oder nach dem zweiten Weltkrieg in die Schweiz gekommen sind.

Auf dem Gelände von «Schindlers Liste»
Seit 2017 waren die Porträts in verschiedenen Städten der Schweiz und weltweit zu sehen, in Berlin, New York, Singapur und auch in Israel. Und doch: Krakau sticht aus dieser Reihe hervor. «Wir sind hier auf dem Fabrikgelände von Oskar Schindler an einem historischen Ort», sagt Dominika Mucha, die zuständige Kuratorin am MOCAK.  «Viele Besucherinnen und Besucher kommen nach dem Besuch von Schindlers Fabrik zu uns. Sie sind also schon vorbereitet.»

Allerdings ist der Ausstellungsort nicht auf Anhieb zu finden – die Bibliothek befindet sich in einem Nebengebäude. Das liegt daran, dass das Ausstellungsprogramm des MOCAK lange im Voraus geplant wird und deshalb im Hauptgebäude kein Platz war. «Aber wir wollten diese Porträts unbedingt zeigen», sagt die Kuratorin. «Die Geschichte hat für uns einen hohen Stellenwert und ist auch ein sehr wichtiges Schulfach.» Deshalb kommen auch immer wieder Schulklassen ins Museum.

Viele haben Wurzeln im Polen
Dass die Ausstellung in der Bibliothek gezeigt wird, habe auch Vorteile. «Es ist sehr ruhig dort, und diese Atmosphäre lädt zur Kontemplation ein.» Tatsächlich: Die Porträts, die an zwei Wänden aufgereiht sind, führen die Besucherinnen und Besucher mit ihrem direkten, ruhigen Blick  fast unmerklich zur Auseinandersetzung mit den Geschichten, die sie erzählen.

Viele von den Porträtierten haben polnische Wurzeln – so auch die Vorfahren der Initiantin der Ausstellung, Anita Winter, Gründerin der Gamaraal Foundation. Die Stiftung unterstützt  Holocaust-Überlebende und engagiert sich in Bildungsprojekten zum Thema.  «Wir haben die Publikation zur Ausstellung sofort ins Polnische übersetzen und von Überlebenden korrigieren lassen», sagt sie. «Polnisch ist für viele von ihnen die Muttersprache.» Die Stiftung hatte geplant, die Bilder zuerst in Anwesenheit von einem Porträtierten in Warschau zu zeigen. «Wir hatten die Hotels schon gebucht», erzählt Anita Winter. Doch dann kam Corona und hat alle Aktivitäten verunmöglicht.

Umso glücklicher ist sie darüber, dass jetzt wenigstens die geplante Ausstellung in Krakau zustande gekommen ist. «Es ist wichtig, dass die Menschen und ihre Erlebnisse nicht in Vergessenheit geraten», sagt Anita Winter «Und dass wir uns in Erinnerung rufen, dass das Ganze gar nicht so weit weg ist.»

Tränen der Wiederholung
In Krakau ist diese Geschichte an diesem Frühsommertag tatsächlich zum Greifen nahe. Nur ein paar hundert Kilometer östlich der schmucken Königsstadt tobt ein Krieg, wieder sind Menschen zur Flucht gezwungen, darunter auch Jüdinnen und Juden, welche die Russen einst als Befreier erlebt haben.

«Nach 80 Jahren wiederholt sich die Geschichte», sagt Dominika Mucha. Es ist ein sehr emotionaler Moment, sie  wischt sich die Tränen aus den Augen, entschuldigt sich. Nach einer kurzen Pause schiebt sie nach. «Es gibt keinen besseren Zeitpunkt für diese Ausstellung.»

Astrid Tomczak-Plewka, reformiert.info

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