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«Jedes Kind ist ein Segen Gottes»

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22.07.2022
Nach der Einführung der Ehe für alle lanciert die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz mit einer Studie die theologisch-ethische Debatte zur Familie und zur Reproduktionsmedizin. Autor Frank Mathwig gibt Einblicke.

Frank Mathwig, seit 1. Juli ist die Ehe für alle Realität. Nun publiziert die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz eine Studie zu den Folgen für Elternschaft, Kinder, Familie. Worum geht es?
Die Studie des Rates EKS ist noch in der Übersetzung, anlässlich der EKS-Synode im Juni wurde aber bereits eine Kurzfassung veröffentlicht. Inhaltlich geht es um grundsätzliche Fragen von Familie, Elternschaft und Kindern, die durch die Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aufgeworfen werden. Im Zentrum steht die Elternschaft gleichgeschlechtlicher Paare vor dem Hintergrund der Möglichkeiten fortpflanzungsmedizinischer Assistenz. In der innerkirchlichen Diskussion sind diese Konsequenzen aus der neuen Eheregelung bisher noch nicht eingehend diskutiert worden.

Warum nicht?
Der kirchliche Fokus lag darauf, die bestehende Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare zu beseitigen. Die damit verbundenen fortpflanzungsmedizinischen Fragen wurden bewusst ausgeklammert. Die EKS-Studie setzt an dieser Stelle an. Sie bietet eine theologisch-ethische Grundlagenreflexion, um das bioethische Gespräch in den Kirchen zu lancieren. Sie sollen befähigt werden, sich informiert an der Diskussion der anstehenden politische Entscheide zu beteiligen. Dem Rat EKS geht es um eine sorgfältige innerkirchliche Diskussion. Fertige Antworten bietet das Dokument nicht.

Der Zugang für lesbische Paare zur Samenspende wurde zusammen mit der Ehe für alle an der Urne gutgeheissen. Was für Entscheide im Bereich Fortpflanzungsmedizin stehen jetzt an?
Aktuell steht die Eizellenspende politisch zur Diskussion, die bisher in der Schweiz grundsätzlich verboten ist. Die Frage steht im Raum: Warum ist die Spende von Eizellen untersagt, aber die Spende von Samenzellen erlaubt? In beiden Fällen wird fremdes biologisches Material – Samen- oder Eizellen – kompensatorisch genutzt, um die Unfruchtbarkeit des Mannes oder der Frau zu überwinden. Ich vermute, dass diese Ungleichbehandlung bei der Überwindung der Unfruchtbarkeit von Frauen und Männern bald aufgehoben wird. Noch wäre die Eizellspende vor allem für verschiedengeschlechtliche und weibliche Paare relevant. Denn männliche Paare könnten nur davon profitieren, wenn die Leihmutterschaft ebenfalls legalisiert würde.

Wie kam es zu dieser Ungleichbehandlung von Samen- und Eizellenspende?
Der wesentliche Grund besteht in einer sehr alten rechtlichen Konvention. «Mater semper certa est», die Mutter ist immer gewiss, lautet ein Grundsatz aus dem römischen Recht, der bis heute das Abstammungsrecht bestimmt. Demnach ist die Mutter eines Kindes immer die Frau, die das Kind geboren hat. Alle Verfahren, «die zur Spaltung in eine genetische und eine biologische Mutter führen», sind deshalb verboten.

Lässt sich das noch halten?
Eigentlich nicht mehr. Bei der Adoption ist die Einheit von biologischer und sozialer Mutterschaft seit jeher aufgehoben. Der Gesetzgeber befindet sich in einem Konflikt: Einerseits will er die rechtliche Tür für moderne medizinische Fortpflanzungsverfahren öffnen, andererseits will er gleichzeitig das traditionelle Familienbild von Vater, Mutter und Kind möglichst schützen. Auf der einen Seite lässt er zu, dass biologische Grenzen überschritten werden, indem er unfruchtbaren verschiedengeschlechtlichen Paaren den Zugang zu reproduktiven Techniken ermöglicht. Auf der anderen Seite wird gleichgeschlechtlichen Paaren der Zugang mit Verweis auf die biologischen Grenzen ihrer Beziehungskonstellation verwehrt.

Was steht sonst noch an?
Es gibt Stimmen, die eine Totalrevision des Fortpflanzungsmedizingesetz fordern. Denn der Zugang zu reproduktiven Technologien ist bisher an die Ehe oder die sexuelle Orientierung des Paares gebunden. So entsteht eine Diskrepanz zwischen Ehe- und Familienverständnis. Die Widersprüche werden Diskussionen auslösen. Seit der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare haben verheiratete Frauen bereits Zugang etwa zur Präimplantationsdiagnostik. Für männliche Ehepaare stellt sich die Frage bisher nicht.

Für die Leihmutterschaft wird sich kaum eine Mehrheit in der Schweiz finden.
Vorerst nicht. Die Vorbehalte sind aus verständlichen Gründen massiv. Das gilt nicht nur für konservative Kreise, die grundsätzlich skeptisch gegenüber reproduktiven Technologien eingestellt sind, sondern auch für feministische Stimmen, die vor einer Instrumentalisierung der Frauen warnen.

Das ist verständlich. Das Missbrauchspotential ist gross. Prekäre Situationen von Frauen können ausgenutzt werden.
Natürlich! Das Thema Ersatzmutterschaft kollidiert mit all unseren Intuitionen und Vorstellungen von der unvergleichlich intimen Beziehung zwischen schwangerer Frau und dem in ihrem Körper heranwachsenden Kind und der einzigartigen leiblichen Verbundenheit zwischen Mutter und Kind. Das biblische Beispiel, bei dem Abraham und Sara mit Hilfe von Hagar ein Kind bekommen, ist weniger ein Beleg für die lange Geschichte der Leihmutterschaft als für ihre Ambivalenzen: Hagar ist die rechtlose Magd, deren körperliche Fruchtbarkeit instrumentalisiert wird. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite stehen die Frauen, die freiwillig und aus altruistischen Motiven die Kinder von männlichen Paaren austragen. Übersehen wird auch, dass Leihmütter viel häufiger die Kinder von prominenten oder wohlhabenden verschiedengeschlechtlichen Paaren und Frauen zur Welt bringen. 

Was ist das Hauptanliegen der Studie?
Die EKS-Studie will theologische und ethische Grundlagen bieten, damit die anstehenden Diskussionen in den Kirchen geführt werden können. Den theologischen Ausgangspunkt bilden bundestheologische Überlegungen, die über die Ehe hinaus auf Familie und Elternschaft bezogen werden. «Bund» aus biblisch-theologischer Sicht meint Begegnung: auf vertikaler Ebene zwischen Gott und den Menschen und auf horizontaler Ebene zwischen den Geschöpfen. Wesentliches Merkmal der von Gott gestifteten Bundesbeziehungen sind der gegenseitige Respekt und die wechselseitige Treue. Bundesbeziehungen gehen tiefer als jede rechtliche Vertragsbeziehung.

Was bedeutet das in Bezug auf die Fortpflanzungsmedizin?
Dem Natürlichkeitsprinzip, das nur Handlungsfolgen zulassen will, die auf biologische Weise spontan möglich sind, stellt der Text die Segensperspektive gegenüber. Die Natur bildet keine moralische Grenze an sich, sondern die äusseren Bedingungen, in denen verantwortungsvoll gehandelt werden muss. Umgekehrt geht die menschliche Fortpflanzung nicht im menschlichen Handeln auf. Deshalb kann es auch kein einklagbares Recht auf ein Kind geben. Wir würden Entscheidendes verlieren, wenn die Geburt eines Kindes ihr Wunderbares einbüssen würde und nur noch das Ergebnis präziser technologischer Praktiken wäre. Die biblisch bezeugte Segenshoffnung besteht unabhängig davon, ob sich ein Kinderwunsch erfüllt oder nicht. Dass die Gabe ausbleiben oder in etwas völlig Unerwartetem bestehen kann, muss nicht nur theologisch, sondern auch medizinisch und moralisch anerkannt werden.

In der Kurzfassung der Studie werden besonders auch die Rechte der Kinder betont.
Die Hauptaussage lautet: Jedes Kind ist ein Segen Gottes. Das gilt selbstverständlich für jedes Kind, unabhängig davon ob es ohne oder mit Hilfe fortpflanzungsmedizinischer Verfahren gezeugt und geboren wurde. Daraus folgt: Jedes Kind hat das Recht, in den stabilen und verlässlichen sozialen Netzen einer Familie aufzuwachsen, als Kind seiner Eltern rechtlich, gesellschaftlich und sozial anerkannt zu sein und um seine genetische und biologische Herkunft zu wissen.

Interview: Christa Amstutz, reformiert.info

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